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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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zusehen, dass sie ihr eigenes Leben im Griff hat. Außerdem schuldet sie ihren Kindern mehr als mir.« Dabei verschwieg ich, dass Sina an dem Tag, an dem ich endgültig zur Tür hinaus war, vermutlich sieben Kreuze machen würde. Meine Schwester hätte es zwar nie freiwillig zugegeben, aber ich war ihr unheimlich. Nicht nur, weil ihrer Meinung nach niemand, der so lange von meinem Vater bearbeitet worden war wie ich, wie ein normaler Mensch funktionieren konnte, sondern auch, weil sie spürte, dass ich tatsächlich anders war. Genau das, was die meisten zu mir hinzog, meine »Ausstrahlung«, oder wie auch immer man es nennen mochte, war ihr stets suspekt vorgekommen. Da war sie ganz Jonas Bristols Tochter.
    »Ich muss zusehen, dass ich für mich selber sorge. Nur noch ein paar Wochen, dann bin ich achtzehn und habe die Schule abgeschlossen.«
    Unerwartet fest umfasste Mila plötzlich meine Hand. »Und dann? Gehst du dann aus St. Martin fort?«
    Noch vor ein paar Momenten hätte ich diese Frage mit einem entschiedenen Ja beantwortet, doch nun war ich mir nicht mehr sicher. »Die Uni hier in St. Martin ist zwar klein, hat aber einen Schwerpunkt auf den Naturwissenschaften. Eigentlich genau mein Ding. Vielleicht sehe ich zu, dass ich ein Stipendium für Meeresbiologie bekomme. Dein Vater wird sich bestimmt freuen, wenn ich in einer seiner Vor - lesungen sitze. Seealgen erforschen klingt doch gut.«
    Milas Mund verzog sich zu einem so leuchtenden Lächeln, dass ich augenblicklich das Verlangen verspürte, sie zu küssen. Nicht vorsichtig und behutsam, sondern so stürmisch wie das Gefühl, das sie in mir ausgelöst hatte. Denn plötzlich nahm ich nicht länger nur den unschuldigen Maiglöckchenduft an ihr wahr, sondern auch etwas anderes, das meine Instinkte weckte und alle Vernunft ausschaltete. Was auch immer es war, ich wollte ihr ganz nah sein. Näher, als ein vorsichtiges Berühren ihrer Lippen es vermocht hätte. Gerade wollte ich mich vorbeugen und sie küssen, da brachte mich Rufus’ schlecht gelaunte Stimme wieder zur Besinnung.
    »Händchen halten auf der Gartenbank - was ist denn das für’ne Kinderkacke?« Ehe ich mich versah, hatte Mila mir vor Schreck ihre Hand entzogen und war aufgesprungen. Ich war mir nicht sicher, was ihr mehr ausmachte: dass Rufus uns überrumpelt hatte oder sein beißender Spott. »Na, immer noch besser als romantisches Nacktbaden im Teich. Komm, Alter. Wir wollen los.«
    »Was ist, Romeo? Hat Julia dir endlich einmal gesagt, dass sie kein Drive-In ist?«
    »Beziehungsscheiß«, nuschelte Rufus.
    Ich war nun ebenfalls aufgestanden und maß den Abstand zwischen mir und Mila. Sie stand nur eine Armlänge von mir entfernt, aber ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hätte sie auch am anderen Ende der Welt stehen können. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag verspürte ich das dringende Verlangen, Rufus in den Hintern zu treten.
    »Ich muss auch los«, sagte Mila. »Lena wartet bestimmt schon auf mich.«
    »Soll ich dich heute Abend anrufen?«
    Für ein paar unerträgliche Sekunden sah es aus, als würde sie mich mit einer Ausflucht abspeisen, dann nickte sie und schenkte mir ein Lächeln, das mich meinen Ärger über Rufus vergessen ließ.

6
    Leitsterne
    Mila
    Der Dienstag gehörte in diesem Schuljahr zu meinen Lieblingswochentagen, weil er bereits nach dem Mittagessen endete. Eigentlich hätte Handball auf dem Programm gestanden, doch unsere schwangere Sportlehrerin hatte sich vorzeitig in den Mutterschaftsurlaub verabschiedet. Kein Wunder bei den harten Würfen, die einige von unseren Mädchen draufhatten. Da würde ich mich auch nicht mit meinem Babybauch an die Seitenlinie stellen wollen. Seither hatten Lena und ich den Dienstag zu »unserem« Nachmittag erkoren: plaudern auf meinem Bett mit Blick auf den Garten (dem man besser nicht zu nah kam, wenn man keine Lust auf Gartenarbeit verspürte), Fahrradausflüge mit Naschkram und Fotoapparat an der Küste entlang, oder einfach Shoppen, so wie an diesem Dienstag.
    Im Gegensatz zu mir liebte Lena Einkaufspassagen. In ihren Augen waren das schillernde Orte, die man begeisterte Laute ausstoßend durchwanderte und wo man auf alles Mögliche mit dem Finger zeigte. Das konnten Ständer mit Modeschmuck, geringelte Socken, ein Regal voller Teesorten und eindeutig zu teure Unterwäsche sein - sprich: einfach alles, was in den Läden auslag. Glücklicherweise verspürte sie nicht den Drang, auch noch stehen zu bleiben und jedes einzelne

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