Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
noch, ich gehörte nirgendwo mehr hin. Ohne Mila gab es keinen Grund, in St. Martin zu bleiben. Zugleich machte
es allerdings auch keinen Sinn, in die Sphäre zu wechseln. Egal, wo ich hinging, ich wäre nicht wirklich da.
Es grenzte an ein Wunder, dass es mir überhaupt gelungen war, den Garten zu verlassen. Nicht, dass es nötig gewesen wäre, denn ob ich nun leblos dort saß oder woanders, lief auf dasselbe hinaus. Trotzdem war ein Motor in mir angesprungen und hatte meine Füße davon überzeugt, meinen Körper in Bewegung zu setzen, bis ich mich am Meer wiedergefunden hatte. Es hatte nicht viel gefehlt und ich wäre ins Wasser hineingelaufen und in der Sphäre wiederaufgetaucht. Nur war die Sphäre nun nicht länger meine Heimat, sondern der Ort, dem ich mein ganzes Elend zu verdanken hatte. Das Paradies hatte sich in einen Hort voller Albträume verwandelt. Darüber hätte ich hinwegsehen können, aber ich konnte nicht abtun, dass Mila mich fortgeschickt hatte, weil ich ein Teil dieser Welt war. So, wie sie mich nicht länger wollte, wollte ich die Sphäre mit einem Schlag nicht mehr. Ich entschied mich nicht nur dagegen, sie zu betreten, sondern beschloss außerdem, die Schwingen auf meinem Rücken zu vergessen. Ich würde in St. Martin bleiben, obwohl diese Stadt ohne Mila an meiner Seite ihre Bedeutung verloren hatte.
Dass mein Weg zu Lucas Wohnwagen geführt hatte, wurde mir erst klar, als Rufus vor mir auftauchte.
Ich bekam gerade so viel mit, dass er nicht recht wusste, wie er mit mir umgehen sollte, also machte ich es ihm einfach und ignorierte ihn. Zu mehr fehlte mir ohnehin die Kraft. Eine Weile redete er auf mich ein, was bei mir jedoch bloß als Rauschen ankam, und gelegentlich spürte ich seine Hand auf meiner Schulter, denn eine Umarmung traute er sich dann doch nicht zu. Mir war das mehr als recht. Wie ein Zombie folgte ich ihm ins Innere des Wohnwagens, froh über die halb aufgebaute Kronkorkenpyramide auf dem
Tisch. Genau das Richtige, um für die nächsten Jahrhunderte etwas zum Anstieren zu haben. Unterdessen fuhrwerkte Rufus herum, gelegentlich sein Rauschen von sich gebend, lauter Worte, die mich nicht erreichten. Als ich das nächste Mal ausreichend Aufmerksamkeit aufbrachte, hing Rufus schlafend mit dem Oberkörper auf dem Tisch, die Kronkorken musste er irgendwann beiseite gewischt haben. Ich beobachtete ihn, ohne eine Regung zu verspüren. Zumindest klappte das eine Zeit lang, dann ertappte ich mich dabei, wie ich einen Vergleich von Rufus’ Lockenmähne zu Milas kurzem Schopf zog. Die gleiche Farbe: Schokoladenbraun.
Augenblicklich lief ich Gefahr, den Schockzustand zu überwinden. Das durfte auf keinen Fall passieren! Denn was folgen würde, wäre reiner Schmerz, ich spürte sein Echo bereits in mir. Eins wusste ich ganz genau: Ich würde den Schmerz nicht aushalten, nicht, solange am Ende keine Hoffnung bestand. Sie hatte »eine Weile« gesagt. Nur würde diese Weile so lange andauern, wie ich eine Schattenschwinge und Teil der Sphäre war – also für immer, selbst wenn ich es leugnete. Es gab keine Lösung für unser Problem, sobald sie mit mir zusammen war, bestand stets die Gefahr, dass die Sphäre Einfluss auf sie nahm. Schließlich war ein Teil der Sphäre in meinem Inneren. Vielleicht gelang es mir, diesen Teil zu verdecken, aber ich konnte ihn nicht auslöschen.
Wie ein Betrunkener stolperte ich vom schlafenden Rufus weg, schaffte es irgendwie auf das Bett und schaltete die Musikanlage an. Es war meine letzte Chance, alles zu verdrängen und zu vergessen. Leise Musik drang aus den Boxen, die ich rasch lauter stellte. Die Beschwerdegeräusche, die Rufus von sich gab, waren mir gleichgültig. Ich zog die Knie unters Kinn, eine Hand ausgesteckt, um auf Wiederholung zu
drücken, sobald das Stück zu Ende ging. Ich hörte nicht, was für ein Lied es war, Hauptsache, die Endlosschlaufe riss nicht ab.
Immer und immer wieder. Gefangen in meiner persönlichen Hölle.
»Kann ich nicht sagen, ob es was bringt, dass ihr zwei hier heute Morgen aufgeschlagen seid. Auf mich reagiert Sam jedenfalls nicht, der stellt sich einfach tot. Ist ja eigentlich auch nicht verkehrt, jedenfalls besser, als wenn er ein heulendes Nervenbündel wäre. Nach Milas tränenverschmiertem Gesicht bin ich nämlich erst einmal bedient. Liebeskummer, das ist nichts für mich. Für Sam offenbar auch nicht. Vermutlich igelt er sich einige Tage ein, um dann … tja, ich weiß auch nicht.« Ein frustriertes
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