Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
sanften Wind über die Blumen gleiten, die ihre Köpfe sofort in ihre Richtung streckten. Wenigstens diese grüne Oase gehörte ihr, hier kam sie zur Ruhe – zumindest solange sie die Lichtung mit dem schwarzen Steinaltar vergaß, um die herum sie eine Barriere aus Totenholz aufgeschichtet hatte. Dieser Ort hatte ihr eine Wunde geschlagen, die nicht aufhören wollte zu bluten. Daran zugrunde ging sie jedoch nicht, allein schon deshalb, weil es ihr verboten war. Von ihm, der seinen Namen wie ein lästiges Kleidungsstück abgelegt hatte.
»Ich hatte darauf gehofft, dass ich in deinem Garten noch
willkommen bin. Die Pforte, die du für deine Freunde geschaffen hast, ist scheinbar schon lange nicht mehr benutzt worden, wenn ich das richtig sehe.« Bevor sie sich umdrehen konnte, um zu sehen, wer da sprach, war Samir vor sie getreten. Als er die Hand hob, um ihre Stirn zur Begrüßung zu berühren, wehrte sie ihn ab. »Es tut mir leid, dich überrascht zu haben. Aber eine Ankündigung erschien mir unter den gegebenen Umständen nicht angebracht.«
»Er wird mich umbringen, wenn er herausfindet, dass ich vergessen habe, die Pforte zu schließen«, stieß Shirin aufgebracht hervor.
»Er wird uns alle töten, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Nicht dass es da noch viel zu tun gäbe. Es sind ja nur noch ein paar von uns übrig geblieben.«
Aufmerksam musterte Shirin ihren alten Freund, der sie nicht nur in die Sphäre geleitet, sondern ihr auch die Treue gehalten hatte, als der Boden unter ihren Füßen weggebrochen war. Es war nicht schwer zu erkennen, warum Samir noch lebte: Er brachte weder herausragende Fähigkeiten noch besonderen Ehrgeiz mit. Seine ganze Persönlichkeit war auf Freundlichkeit und den schönen Moment ausgerichtet. Deshalb hatte ihn der immer länger werdende Schatten, der die Sphäre verdunkelte, noch nicht erreicht. Bei Samir gab es nichts zu holen.
»Ich habe dich vermisst, mein Freund.«
In dem Moment, als Shirin die Worte aussprach, wusste sie, dass es die Wahrheit und keine Schmeichelei war. Sie hatte Samir vermisst, genau wie sie der Chance nachtrauerte, die er verkörperte. Die Chance auf eine erfüllte Existenz als Schattenschwinge, die sie so leichtherzig aufgegeben hatte.
Samir sah sie prüfend an. »Hat er dir solche Empfindungen nicht verboten? Ich dachte eigentlich, dass Sklaven so etwas nicht zusteht.«
Unwillkürlich berührte Shirin die breiten Reifen aus Bernstein. Sie hatte sich nicht dagegen gewehrt, als er ihr diesen Schmuck angelegt hatte. Schließlich war es nur konsequent gewesen. Sollte ruhig jeder sehen, was aus ihr geworden war. Allerdings hatte keiner von ihnen beiden die Bezeichnung in den Mund genommen, für die diese Art von Bindungsinsignien stand. Es nun aus Samirs Mund zu hören, fühlte sich an, als wäre die Macht der Reifen erst jetzt richtig aktiviert worden.
»Vermutlich hat er darauf verzichtet, weil er davon ausgeht, dass ich keine Freunde habe«, sagte sie. Die Erschöpfung, mit der sie sich seit langem durch die Tage quälte, war nicht zu überhören. Mitleid flackerte in Samirs weichen Augen auf. »Nicht, bitte.« Shirin legte den Rest ihrer Kraft in ihre Stimme. »Kein Mitleid. Das habe ich mir selbst zuzuschreiben. Es war meine Entscheidung …«
»Und sie war falsch«, brachte Samir den Satz zu Ende. »Es wäre jedoch unfair, auf dich hinabzusehen, denn schließlich haben wir uns alle von ihm einspinnen lassen. Was er über unsere Fähigkeiten ans Licht gebracht hat, schien so unendlich viel bedeutender als die Beweise, die auf seine eigentlichen Absichten hinwiesen. Eigentlich müssten fast alle von uns die Sklavenringe tragen, weil wir uns seinem Willen gebeugt haben. Daran solltest du denken, wenn dir das Herz zu schwer wird.«
»Oder du erinnerst mich bei Gelegenheit daran.« Ein Lächeln stahl sich auf Shirins Gesicht. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal gelächelt hatte.
Samir erwiderte es zwar, aber es geriet überaus traurig. »Das würde ich gern, aber es wird voraussichtlich unmöglich sein. Ich bin hier, um dir Lebewohl zu sagen. Ich bin zwar kein großer Krieger, aber ich kann nicht länger die Augen vor dem verschließen, was in der Sphäre geschieht. Leider
ist es für diesen Sinneswandel wohl zu spät. In einigen Stunden wird es zu einer großen Schlacht kommen. Zu der entscheidenden, wenn mein Gefühl mich nicht täuscht.«
»Hör mir zu, ich weiß nicht, was du vorhast, aber nimm nicht an dieser
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