Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
schnell genug voran. Ich musste mich beeilen, Milas Furcht lag mir bitter auf der Zunge. Wenn ich sie nicht bald erreichte, würde ich noch daran ersticken.
Mila
Mit jedem Herzschlag lebte der Ring mehr auf.
Erst jetzt wurde mir bewusst, wie trostlos es sich angefühlt hatte, als er durch eine Barriere von mir getrennt gewesen war. Die Barriere, die entstand, wenn Sam und ich uns in verschiedenen Welten aufhielten. Nun war der Bernstein wieder warm und lebendig. Nur Sams Berührung fühlte sich eindringlicher an. Zu gern hätte ich mich dieser Empfindung überlassen, aber das war unmöglich. Führte sie mir doch vor Augen, dass Sam in meiner Nähe war. Dann hörte ich das Echo seiner Stimme.
Wo bist du?
Das Echo traf mich … und der Ring warf es zurück, schickte gegen meinen Willen eine Antwort aus: Hier bin ich, komm zu mir .
»Nein!« Ich kauerte mich auf dem Boden zusammen, die Hand unter mir verborgen, um den verräterischen Ring
abzuschirmen, damit er kein weiteres Zeichen an Sam ausschicken konnte. »Du darfst ihm nicht den Weg weisen, bitte«, flehte ich. In Wahrheit wusste ich, dass es zu spät war. Es erreichte mich kein weiteres Echo mehr, denn Sam wusste nun, wo er mich finden konnte. Verzweifelt konzentrierte ich mich darauf, ihm auf die gleiche Weise, wie er mich erreicht hatte, eine Nachricht zu senden. Ich musste ihn unbedingt wissen lassen, dass er fortbleiben sollte. Doch es gelang mir nicht. Ich konnte die Magie des Ringes nicht entfachen.
»Wie nah ist Samuel?«
In meinem Kummer hatte ich Ask ganz vergessen. Nachdenklich leckte ich über meine aufgebissene Unterlippe. Das Blut schmeckte salzig. Ask wusste zwar, dass Sam in die Sphäre gewechselt war. Dass er allerdings bereits nach mir suchte, das konnte er nur vermuten. Wenn es mir gelang, Ask davon zu überzeugen, dass er sich in keiner Weise sicher sein konnte, dass Sam hier auftauchen würde, dann würde er vielleicht einen anderen Plan ersinnen – einen, der Sam nicht in Gefahr brachte. Meinen ganzen Mut zusammennehmend, schickte ich ein stummes Stoßgebet in Richtung Himmel: »Hallo, da oben, ich weiß selbst, dass ich eine miserable Lügnerin bin, aber bitte, bitte lass mich jetzt trotzdem das Schauspiel meines Lebens abliefern!«
Dann richtete ich mich entschlossen auf.
Ask hatte seine metallisch glänzenden Schwingen geöffnet und stand ein paar Schritte von mir entfernt. Um mich brauchte er sich nicht zu kümmern, ich saß fest. Um von diesem elenden Eiland mitten im Nirgendwo wegzukommen, brauchte man Flügel. Einen Kampf gegen die sich hoch aufbauenden Wellen mit ihren Schaumkronen würde ich nämlich selbst dann verlieren, wenn ich eine gute Schwimmerin wäre. Zu tosend war das Meer, geradezu, als wollte es diese kleine Insel, herausgefordert von dem magischen
Grenzwall, der es fernhielt, unbedingt verschlingen. Allein sein Anblick verursachte mir Atemnot. Nun wusste ich wieder, warum ich das Meer immer gefürchtet hatte: Es war ein wildes, unberechenbares Element.
»Weißt du, dass Sam in die Sphäre gewechselt ist, muss nichts mit mir zu tun haben«, setzte ich meinen ersten Stich. »Die Sphäre ist schließlich seine Heimat und von mir hat er sich getrennt. Wir sind kein Paar mehr.«
»Getrennt.« Ask stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Du hast ihn fortgeschickt, weil dein ängstliches Menschenherz es nicht länger ertragen hat, seiner Welt ausgeliefert zu sein. Aber solange du den Ring trägst, gehört ihr zusammen. Dein überflüssiges Gerede von einer Trennung ändert daran nichts.« Während er gelassen diese Wahrheit aussprach, löste Ask nicht eine Sekunde lang den Blick vom Himmel, an dem sich nach wie vor höchstens einmal ein Seevogel zeigte. »Samuel wird kommen. Nur wird er all das für eine von Nikolais schwachsinnigen Handlungen halten und deshalb keine Ahnung haben, wem er in Wirklichkeit gegenübertritt. Im Gegensatz zu dir hat er meine Tarnung nicht gelüftet.«
Das stimmte. Sam konnte nicht ahnen, dass auf diesem Eiland sein gefährlichster Gegner auf ihn wartete. Stattdessen würde er davon ausgehen, ein leichtes Spiel zu haben. Schließlich hatte er Nikolai bereits einmal seinem Willen unterworfen, ohne dass es ihm große Probleme bereitet hätte. Heute aber würde ihm sein Gefühl der Überlegenheit das Genick brechen, denn die einzige Gemeinsamkeit zwischen Nikolai und Ask bestand in ihrem Körper. Doch was zählte in der Welt der Schattenschwingen schon ein Körper, wo es die Aura war,
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