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Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe

Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe

Titel: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Gesichtsfeld herumfuchtelte. Dann senkte ich den Kopf und gestand mir ein, dass das noch ein furchtbar langer Tag werden würde.

    Rufus saß mit einer Schüssel kalter Nudeln vom Vortag zwischen den Knien auf der Küchentheke und stopfte sie sich mit erstaunlichem Tempo in den Mund. Als Begrüßung mussten Lena und ich uns mit einem Gabelwedeln zufrieden geben. Zielstrebig hielt ich auf die Kaffeeautomaten zu, während Lena mit verschränkten Armen im Wohnbereich stehen blieb. Auch wenn sie noch so unnahbar dreinschaute, war es offensichtlich, dass Rufus’ Anwesenheit ihr weiterhin Probleme bereitete. Aber das war mir so lange egal, bis ich einen vierfachen Espresso intus hatte.

    Nachdenklich kauend, beobachtete mich Rufus dabei, wie ich in meine Tasse blies, um die schwarze Brühe möglichst umgehend trinken zu können. »Du siehst komplett gerockt aus«, ließ er mich wissen.
    »Ich bin deine Schwester, was erwartest du?«
    Mit der Nudelschale in der Hand stellte Rufus sich neben mich und flüsterte mir ins Ohr, damit Lena ihn nicht verstehen konnte. »Und weil ich dein großer Bruder bin, sage ich dir eins: Heute Nacht herrscht Sam-Sperre. Dieses Doppelleben ist zu hart für dich.«
    Meine erste Reaktion bestand darin, ihm aufs Heftigste widersprechen zu wollen. Dann gestand ich mir jedoch ein, dass er recht hatte: Ich war ein Wrack, ein verliebtes, verstörtes und im Augenblick vollkommen überfordertes Wrack.
    Lena drängte sich mit der Schulter voran zwischen uns, wohl aus dem Bedürfnis heraus, mich vor meinem großen Bruder zu beschützen. »Solltest du nicht im Haus der Jugend sein und den Kids irgendetwas Lustiges mit Kartoffelstempeln beibringen?«, fragte sie biestig, während sie sich einen Milchkaffee machte.
    »Ich habe meinen freien Nachmittag. Aber was ist mit dir? Ist heute kein Oma-Erschrecken zusammen mit deinem drollig aussehenden Freund Julius in der Einkaufspassage angesagt? Ich frag mich ansonsten ernsthaft, wozu es gut gewesen sein soll, den halben Kopf orange einzufärben.«
    Ohne genau sagen zu können, wann sich dieser neue Trend eingeschlichen hatte, stand eins glasklar fest: Das Verhalten der beiden zueinander hatte sich grundlegend gewandelt. Rufus war vom Ignorieren zum Pricken übergegangen, während Lena von Schmachten auf Angriff umgestellt hatte. Ich kam mir vor, als wäre ich in eine Kriegsfront geraten, die jederzeit in eine ganz andere Art der Auseinandersetzung übergehen konnte.

    Make love, no war , dachte ich, wobei mir klar wurde, dass dies eine weitere neue Situation war, mit der ich nicht wirklich umzugehen wusste.
    Glücklicherweise konnte ich diese knifflige Überlegung erst einmal vertagen, denn meine Mutter kam gerade zur Tür herein, halb zusammenbrechend unter der Last eines knapp ein Meter hohen Bäumchens plus Übertopf.
    »Schaut mal«, rief Reza, obwohl sie deutlich aus der Puste war. »Ist das nicht ein Schätzchen? Den habe ich im Baumarkt gefunden, ich kann mein Glück noch gar nicht fassen. Die haben da doch sonst nie etwas Besonderes.«
    Rufus nahm Reza die Pflanzschale ab und stellte sie auf den Küchentisch, um den wir uns alle neugierig positionierten. Das Bäumchen hatte eine Kegelform, wodurch es ein wenig in die Breite gegangen aussah. Die zweigeteilten fächerförmigen Blätter liefen am unteren Ende zusammen.
    »Ein Ginkgo«, klärte Reza uns auf. »So einen wollte ich immer schon haben. Kennt ihr das Gedicht von Goethe über das Ginkgoblatt?
    Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Dass man sie als eines kennt?«
    Reza seufzte. »Schön, nicht wahr? So fühlt sich Liebe an.«
    »Und ich dachte immer, eins plus eins macht drei, wenn es um die Liebe geht.« Es war Rufus deutlich anzusehen, dass ihm seine Goethe zitierende Mutter nicht ganz geheuer war.
    Lena und ich hingegen nickten verständnisvoll. Ich nahm sogar eins der zweigeteilten Blätter an mich und horchte den Worten meiner Mutter nach. Auch ich kannte das Gefühl, dass man glaubte, eins zu sein mit jemandem, den man liebt,
oder dass man sich mit Haut und Haaren nach diesem Moment sehnt. Aber der Gedanke, dass man früher einmal eins gewesen und dann zweigeteilt worden ist, fühlte sich in Bezug auf Sam ebenso richtig an. Warum sonst wären wir einander auch über die Grenzen unserer Welten hinaus verbunden geblieben? Vorsichtig legte ich das Ginkgoblatt zwischen die Seiten meines Zeichenblocks, mir fest vornehmend, eine Zeichnung

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