Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
mystischen Einerlei und ihre ruhige
Stimme ließ mich beinahe mit dem Kopf auf die Tischplatte sinken. Ich brachte gerade noch ausreichend Selbstbeherrschung auf, um nicht dem Druck meiner schweren Lider nachzugeben.
Dann bekam Frau Olsens Stimme plötzlich einen scharfen Unterton, der mich in die Gegenwart zurückholte. Zu meinem Schrecken stand sie direkt vor mir.
»Mila, die Begeisterung, mit der Sie ins neue Schuljahr stürmen, ist wirklich begrüßenswert. Aber könnten Sie beim Gähnen bitte die Hand vor den Mund halten?«
»Entschuldigung, tut mir wirklich leid«, brachte ich peinlich berührt hervor. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, an meine aufkeimenden Mathe-Erfolge des letzten Jahres anzuschließen.
»Nicht so leid wie mir. Ihre Mandeln sind nichts, was man gesehen haben muss.« Frau Olsen sah nicht einmal ansatzweise versöhnt aus. »Was halten Sie davon, mich vorn an der Tafel zu unterstützen? Da werden Sie ganz bestimmt wach.«
Allein die Vorstellung, in der Öffentlichkeit irgendetwas tun zu müssen, das mit Rechnen zu tun hatte, verwandelte meinen Magen in einen Säurekessel. »Ich bin definitiv wach«, brachte ich verzweifelt hervor.
In Frau Olsens Augen glomm Genugtuung auf, aber sie war keineswegs bereit, mich von der Leine zu lassen. »Nun, meine Liebe?« Mit einer weit ausholenden Geste deutete sie auf die Tafel mit den komplett unleserlichen Hieroglyphen.
Okay, das hier war eindeutig schlimmer als die letzte Nacht!
Zu meiner Erleichterung läutete in diesem Augenblick die Pausenglocke und ich stieß hörbar die Luft zwischen meinen Zähnen aus. Bevor Frau Olsen auf die Idee kommen konnte, sich noch eine alternative Züchtigungsmethode wie etwa eine Strafarbeit einfallen zu lassen, war ich auch schon zur
Tür hinaus. Wozu ein Adrenalinschub doch so alles gut sein konnte.
Draußen auf dem Pausenhof wartete ich auf Lena, die beim Verlassen des Schulgebäudes gerade giftgrüne Kaugummiblasen produzierte. Freundlich hielt sie mir die Packung hin, aber allein der künstliche Apfelgeruch, den die Kaugummis verströmten, war schon zu viel für mich. »Nein, danke. Ansonsten nimmt mein Gesicht sofort die gleiche grüne Farbe an.«
»Was ’n los mit dir?«
»Sag mal, wie viele von den Dingern hast du eigentlich im Mund? Du klingst vollkommen verklebt.«
Anstelle einer Antwort produzierte Lena eine Riesenblase, was von Julius, der ein paar Schritte von uns entfernt mit seinen Freunden beisammenstand, mit einem schmachtenden Ausdruck bedacht wurde. Der arme Kerl durfte sich Lena während der Schulzeit nicht nähern, was ihm sichtlich zu schaffen machte. »Ich habe ein Image zu verlieren«, hatte Lena sich verteidigt, als ich ihr deshalb auf den Zahn gefühlt hatte. »Ich gebe ihm noch drei Wochen, dann verwandelt sich die Iro wieder in einen Seitenscheitel. Und wie stehe ich dann da?« Allerdings sah mir ihr Verhalten weniger nach alberner Imagepflege, sondern mehr nach Kopierzwang aus. Genauso sprang auch mein lieber Bruder mit seinen Verehrerinnen um. Egal, was mir ansonsten so durch den Kopf ging, ich musste mit Lena dringend ein Gespräch unter vier Augen über dieses Thema führen. Gut, es hatte sie viel Kraft gekostet, sich ihre Verliebtheit in Rufus abzugewöhnen, aber deshalb musste sie noch lange nicht dessen »Kalte Schulter«-Spiel bei anderen männlichen Wesen austesten.
In einem hohen Bogen entsorgte Lena ihr Kaugummi in den Müllkorb. »Also, erzählst du mir jetzt, warum du aussiehst wie auferstanden von den Toten? Nun komm schon,
Mila. Wie lange willst du noch ein Geheimnis aus Mr Nachtaktiv machen?«
Ja, das war die große Frage. Zu gern hätte ich mich Lena anvertraut, aber gerade heute Morgen war ich mir nicht wirklich sicher, ob sie überhaupt in die Nähe einer Schattenschwinge kommen sollte, selbst wenn es sich um den ihr wohlbekannten Sam Bristol handelte. Bestimmt legte Lena Wert darauf, dass niemand sich an ihrer Erinnerung vergriff. Mühsam musste ich mir vor Augen halten, dass ich diejenige gewesen war, die Sam zu diesem Trick aufgefordert hatte. Und jetzt tat ich so, als hätte er meiner Mutter etwas Böses gewollt. Es war einfach nur so, dass diese Fähigkeit mich schlicht überforderte, weil ihre Auswirkungen so unabsehbar waren. Ich brauchte dringend eine Auszeit, dann sah ich die Dinge bestimmt wieder klarer.
»Erde an Mila. War das jetzt eben etwa Sekundenschlaf mit offenen Augen?«
Verwirrt sah ich Lena an, die mit ihren Händen direkt vor meinem
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