Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
vor Augen halten, dass ich es war, der die Entscheidungen traf. Es stürmte im Augenblick zwar sehr viel auf mich ein, aber solange ich mich zusammenriss und mich darauf konzentrierte, einen Schritt nach dem nächsten zu nehmen, würde das alles schon werden. Nach dem gestrigen Abend im Wohnwagen sollte ich das eigentlich ohne Probleme hinbekommen. Immer noch konnte ich Milas Maiglöckchenduft auf meiner Haut wahrnehmen, immer noch klangen mir ihre geflüsterten Worte in den Ohren – und nicht nur ihre Worte, sondern auch die Seufzer, die sie ausgestoßen hatte, als ich die Einbuchtung neben ihrem Nacken gestreift hatte und meine Lippen ihr Dekolleté hinabgewandert waren …
Meine Wangen begannen verräterisch zu brennen, und
ich vergrub mein Gesicht ein Stück tiefer zwischen den Armen. Asamis wissenden Blick wollte ich mir gern ersparen. An Mila zu denken, war definitiv nicht der richtige Weg, um zu der Konzentration zu finden, die er mir abverlangte. Zumal jeder Gedanke an sie mich sofort spüren ließ, dass ich einfach nicht genug von ihr bekam. Da mochte es Probleme geben, wo ich nur hinblickte, Angelegenheiten, für die ich dringend eine Lösung finden musste – aber ich verlor mich in Phantasien über das Gefühl, das Milas Finger auf meinem Rücken erzeugten.
»Gott, Bristol! Denk doch mal an was anderes«, forderte ich mich auf.
Wie kam es, dass ich Mila jedes Mal, sobald wir alleine waren, auf meinen Schoß ziehen wollte? Zwar hatte sie sich bislang nicht darüber beschwert, aber das war sicherlich nur eine Frage der Zeit. Vor allem heute, wenn wir dank der Abwesenheit ihrer Eltern endlich einmal ganz in Ruhe zusammen sein konnten, erwartete Mila sich bestimmt mehr von mir als eine Kusseinlage im Garten, hektisches Klamottenabstreifen im Flur und die lang ersehnte Fortsetzung unserer bislang recht zahmen Knutschereien auf ihrem Zimmer. Sollte ich nach dem Training überhaupt noch aufrecht stehen können, schuldete ich ihr wenigstens einen Hauch von Romantik. Am besten in Verbindung mit ganz normalen Aktionen, die Paare eben taten, wenn der eine Part nicht ständig in einer anderen Sphäre rumhing. Dafür musste ich ordentlich den Kopf freibekommen.
Die Iaido-Lektion mit Asami, die gleich anstehen würde, war da zweifelsohne genau das Richtige. Ein strenger Lehrer, jede Menge Bewegung mit dem Katana in den Händen, und das erneute Entfachen dieser Lichtquelle in mir. Der klare und gleichzeitig berauschende Augenblick, in dem die Quelle sich aufgetan hatte, wirkte ungebrochen nach. Ich war ganz
bei mir selbst gewesen, und genau dorthin wollte ich mit Asamis Hilfe wieder. Mit einem wohligen Schauer erinnerte ich mich daran, wie es sich angefühlt hatte, das Schwert auf diese vollkommene Weise zu ziehen, und wie sich eine Kraft in mir geformt hatte, die mir realer erschien als mein pochendes Herz. Was mochte diese Kraftquelle bedeuten?
Die technische Seite der Schwertkunst zu begreifen, fiel mir leicht – dank des Austauschs, den wir Schattenschwingen über unsere Aura vornehmen konnten. Nun war es nicht so, dass Asami mir sein Wissen über Iaido offenbarte und ich sämtliche Katas auch gleich beherrschte. Natürlich musste der Körper beim Kampfsport geschult werden, denn was der Geist verstand, galt noch lange nicht für die Glieder. Mein Körper schien allerdings wie geschaffen für den Schwertkampf. Das Ganze erinnerte mehr an einen anmutigen Tanz als an eine Angelegenheit, die darauf hinauslief, jemanden mit dem perfekten Streich den Brustkorb zweizuteilen. Obwohl es genau darum ging, wie Asamis Anweisungen ungeschönt deutlich machten. Tatsache war jedoch, dass ich nach einigen gemeinsamen Stunden mit meinem Lehrer bereits Bewegungsabläufe verstanden hatte, für die ein menschlicher Iaido-Schüler Jahre benötigte. Hätte ich auf diese Weise Thaiboxen gelernt, dann wäre ich darin bereits Champion.
Die Erkenntnis, dass Schattenschwingen mit nur wenig Mühe komplexe Dinge begriffen, fühlte sich so lange super an, bis mir klar wurde, dass diese Fähigkeit uns Vorteile über die Menschen brachte, die gefährlich werden konnten. Weil wir Schattenschwingen enorm schnell lernten, wenn wir auf eine Wissensquelle stießen, waren wir einem Menschen gegenüber in so ziemlich jeder Hinsicht überlegen. Bislang hatte ich meine Gedanken ausschließlich mit anderen Schattenschwingen geteilt, indem ich ihnen gestattete, sich
durch mein Bewusstsein ein Bild von der Gegenwart in der Menschenwelt zu machen.
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