Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
sich nämlich nicht länger an dir dran befinden wird. Verstanden? «
Anstatt eingeschüchtert dreinzublicken, schaute Ranuken sich eifrig um. »Welche Wäschelade?«
»Ich warne dich!«
»Ist ja schon gut. Ich werde brav hier sitzen bleiben und auf gut Wetter bei unserer Wüstenkönigin hoffen. Habe ja auch noch fünf Bände von der Manga-Reihe vor mir. Gibt es noch mehr Chips?«
Mit einem Seufzen kippte ich den Inhalt meiner Süßigkeitenschatulle aufs Bett, in der Hoffnung, dass der Rotschopf dadurch lange genug abgelenkt war, um die Finger von meinen Privatangelegenheiten zu lassen. Dann schnappte ich mir meine Zeichenutensilien und kehrte auf den Dachboden zurück, wo ich Shirin in genau derselben Haltung vorfand, wie ich sie verlassen hatte.
Immer wieder kehrte mein Zeichenstift zu den Umrissen zurück, mit denen ich Shirins markante Gesichtszüge skizzierte. Gleichgültig, wie kräftig ich die Mine auf das Papier drückte, wie sehr ich die Kontraste herausarbeitete, der Ausdruck reichte einfach nicht an das Original heran. Es wollte mir nicht gelingen, ihre Intensität einzufangen. Jedenfalls war ich weit davon entfernt, mit meinem Werk zufrieden zu sein.
Shirins auf den Kisten ausgestreckte Figur nachzuzeichnen, war trotzdem eine großartige Sache. Nicht allein wegen ihrer Schönheit, sondern auch wegen der Eleganz, die sie ausstrahlte. Der konnte nicht einmal unser rumpeliger Dachboden einen Abbruch tun. Wie sie auf dem gewebten Tuch ruhte und der Regen, der in Schlieren über das Dachfenster glitt, ihr ein verschlungenes Muster auf die dunkle Haut malte und die breiten Bernsteinringe an ihren Handgelenken zum Schimmern brachte … Kein Künstler hätte sich mehr von seinem Modell wünschen können. Shirin hatte das Zeug zur Muse, so viel stand fest.
Zunehmend konzentrierte ich mich auf meine Arbeit. Und siehe da: Die Zeichnung nahm von selbst Gestalt an, während mein Kopf sich angenehm leerte. Ich liebte diesen Zustand, in dem ich weder Zeit noch Raum länger wahrnahm, sondern ganz mit meiner Tätigkeit verschmolz. Allein aus diesem Grund würde ich immer wieder zum Zeichenstift greifen, selbst wenn mir kein einziges Bild gelingen sollte. Voller Hinhabe ließ ich mich darauf ein, wurde eins mit meiner Tätigkeit, bis ich sie nicht mehr als solche betrachtete.
Nach und nach verdichteten sich die Zeichen, die der Schatten vor langer Zeit in Shirins Aura eingebrannt hatte,
zu einer eigenen Welt, in die ich einen Blick werfen durfte. Shirin verschwand dahinter, ich sah sie nur noch wie durch einen Schleier. Wie in weiter Ferne tauchte ein dunkler Fleck auf. Ein Schatten, den ich zwar bemerkte, aber dessen Umriss nicht wirklich zu erkennen war.
Sieh sie dir ganz genau an , forderte mich der Schatten auf. Eine Stimme aus der Vergangenheit, die mir eigentlich einen Schrecken hätte einjagen müssen. Aber seine Stimme war einschmeichelnd und ich war auch zu neugierig darauf, was sie mir zu erzählen hatte. Sieh dir mein Eigentum an.
Tatsächlich! Trotz des Schattens konnte ich Shirin mit einem Mal sehr viel klarer sehen. Ihre Schönheit, ihre Grazie, aber auch die Spuren, die die Vergangenheit hinterlassen hatte. Jedes Detail flüsterte mir etwas zu. Die Art, wie ihr Nacken gebeugt war, die Spannung auf ihren Gesichtszügen … weiter … tiefer … Je dichter der Schatten wurde, desto mehr erkannte ich. Bis ich so versunken war, dass mir erst nach einiger Zeit der ruhende Stift in meiner Hand auffiel.
Ich blinzelte und das Schattengewebe vor meinem Blick zerriss.
Mein Bild war fertig. Aber war es wirklich mein Bild?
Es ist ein Geschenk, flüsterte der Schatten in den Zeichen, bevor er wieder zur Vergangenheit wurde.
Was …
Es war Shirins dunkle Stimme, die mich endgültig in die Gegenwart zurückholte. »Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ist dein Wunsch, mehr über mich herauszufinden, erfüllt worden. Seine Zeichen haben zu dir gesprochen, nicht wahr?« Sie stockte, ihr Blick wurde ernst. »Du kannst dich sehr tief in deine Kunst versenken. Das ist eine seltene Gabe.«
»Gerade eben hat diese Gabe sich wie ein Fluch angefühlt.
« Es sollte ein lockerer Spruch sein, aber das Zittern in meiner Stimme machte es zunichte.
»Das liegt bestimmt an dem Objekt, das du dir ausgesucht hast. Da konnte ja nichts Gutes bei rauskommen.«
Shirins Kommentar war an Trockenheit nicht zu übertreffen und genau das setzte mir zu. So durfte man einfach nicht von sich selbst denken! Ohne den Zeichenblock
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