Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
mein Plan.« Sam kletterte, spürbar erleichtert über mein Einlenken, auf den Fahrersitz. »Rufus’ Fahrstil in allen Ehren, nur sollte man Beschleunigung auch spüren. Wozu gibt es schließlich die oberen Gänge?«
Bevor einer von uns Protest einlegen konnte, trat Sam das Gaspedal durch. Wie hatte ich dieser Schnapsidee nur zustimmen können, wo ich doch genau wusste, wie sehr Herr Bristol auf den Geschwindigkeitsrausch versessen war?
17
Ewige Verbundenheit
Sam
Der Spaziergang durch die Dünen war trotz seiner Länge großartig. Der Sonnenschein fühlte sich gut an, und das sahen auch die Möwen so, die träge ihre Runden über uns drehten. In dieser Gegend gab es keinen Deich, ein weich geschwungener Sandhügel schloss sich an den nächsten an, viele von ihnen waren mit im Wind tanzendem Seehafer bedeckt. Hier und da trotzten niedrige Bäume, die vom Wuchs her an mutierte Bonsais erinnerten, dem rauen Klima. Neben dem immer wieder von Sand bedeckten Weg wuchs silbriger Wermut, und der Seeflieder zeigte seine vom Sommer verblassten Blüten.
»Guck mal, die Heide blüht schon und da drüben gibt es die ersten Preiselbeeren.« Mila zeigte auf ein Beet aus dunkelgrünen Miniblättern, zwischen denen es rötlich aufleuchtete. »Der Herbst steht vor der Tür.«
Langsam schlenderten Mila und ich dem aus Lena, Rufus und Ranuken bestehenden Gute-Laune-Trio hinterher. Nachdem ich den Ford abgestellt hatte und ein grünlich angelaufener Rufus nicht aufhören konnte, mir zu erklären, dass ich das Lenkrad seines Wagens nach dieser Halsbrecher-Nummer so was von nie wieder zwischen die Finger bekommen würde, hatte ich nach Milas Hand greifen wollen. Doch sie hatte Lena rasch die Decken abgenommen und sie mit beiden Armen vor ihre Brust gehalten. Seitdem liefen wir
nebeneinander her, nur gelegentlich über die Pflanzenwelt plaudernd, mit der Mila sich, ganz Tochter von Reza »Gartenqueen« Levander, bestens auskannte.
Ich dachte unentwegt darüber nach, was ich sagen konnte, um das Ganze zwischen uns wieder einzurenken. Dabei wusste ich nicht so genau, was das Ganze eigentlich war. Zum ersten Mal, seit ich Mila in der Schulbibliothek angesprochen hatte, spürte ich einen Graben zwischen uns. Keiner, der sich nicht überwinden ließ, aber es setzte mir zu, dass er sich überhaupt aufgetan hatte. Zwar waren wir – Schattenschwingen und Menschen – heute gemeinsam unterwegs und nach außen wies nichts daraufhin, dass es grundlegende Unterschiede zwischen uns gab, aber zum ersten Mal spürte ich, dass Milas und meine Welt auseinanderzudriften drohten. Und das bereits nicht einmal zwei Wochen, nachdem ich sie zurückgewonnen hatte. Ich musste mir dringend etwas einfallen lassen, das diesen Prozess stoppte.
»Es ist wirklich toll, dass Shirin bei uns ist«, unterbrach Mila meine Grübeleien. »Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, als sie mit uns gefrühstückt hat. Sie hat zwar kaum etwas gesagt, aber es ist trotzdem nicht zu übersehen, dass sie aufblüht. Allein wie ihre Aura wieder an Kraft gewonnen hat.«
Es war mir fast ein wenig peinlich, dass ich mir über unsere Beziehung den Kopf zerbrach, während sie sich mit ganz anderen Dingen auseinandersetzte. Dingen, die für mich eigentlich auch von großer Bedeutung sein sollten. Allerdings war ich viel zu sehr damit beschäftigt, Panik zu schieben, weil ich fürchtete, meine Freundin zu verlieren.
»Ich habe zwar keine Ahnung, woran es liegt, aber es tut uns Schattenschwingen eben gut, unter Menschen zu sein. Kastor hat sich nach seiner Stippvisite ja auch regelrecht beflügelt gefühlt.«
»Woran liegt das wohl?« Mila zog ihre Stirn kraus. Das Thema bewegte sie sichtlich.
»Für mich sieht es so aus, als würde es eine Art Wechselwirkung zwischen unseren Welten geben«, dachte ich laut nach. »In der langen Zeit, in der die Schattenschwingen nicht mehr gewechselt sind, haben viele von ihnen ja regelrecht den Lebensmut verloren. Die meisten der Alten haben bis vor Kurzem in einem schier endlosen Schlaf gelegen, als mache es wenig Sinn, in den Resten der Sphäre ein Leben zu führen. Und wir jüngeren …«
Ich hielt inne und zuckte mit den Schultern, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie mein Leben ohne die Möglichkeit zu wechseln ausgesehen hätte. Vermutlich hätte es in einem ziellosen Sich-Treiben-Lassen bestanden, weil die Wächter darauf geachtet hätten, dass ich ja keine meiner Gaben über Gebühr entwickelte. So gesehen war die
Weitere Kostenlose Bücher