Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
nicht, dass jemand mitbekommt, dass du zurück bist?«
Das Versprechen, die Gründe für Sams Rückkehr erst nach unserem Ausflug zur Sprache zu bringen, hatte Lena nicht allzu lang gehalten. Doch Sam, der auf einem der gischtumspritzten Wellenbrecher stand, ließ sich nicht bedrängen. In der Hand hielt er ein paar Grissini-Stangen, mit denen er die Möwen fütterte, die sich gegenseitig mit riskanten Sinkflügen übertrumpften, geradezu als wollten sie ihm eine tolle Show bieten. Und vermutlich wollten sie das auch, weil sie spürten, dass sie in Sam jemanden hatten, der Flugakrobatik wirklich zu schätzen wusste.
»Dein Freund ist ein ganz sturer Brocken.« Lena hatte ihre Füße in dem grobkörnigen Sand vergraben und kitzelte Ranuken, der ein Stück von uns entfernt eingedöst war, mit einem Strandhaferhalm entlang der Wirbelsäule. Mehr als ein Grunzen erntete sie jedoch nicht für ihre Mühe. »Noch ein sturer Brocken. Wenigstens bekomme ich auf diese Weise Gelegenheit, mir die Flügelzeichnung mal genauer anzusehen. Ranuken macht zwar ein Heidengewese darum, aber richtig drangelassen hat er mich nicht. Dabei juckt es mich in den Fingern, sie einmal anzufassen.«
»Wow, Lena«, mischte Rufus sich in die Unterhaltung ein. Eigentlich hatte ich gedacht, er wäre ganz in die Musik versunken, die er mit seinem iPod hörte. »Dass du einen schlechten Geschmack hast, habe ich ja gewusst, aber das ist echt heftig. Diesen Zwerg anfassen wollen, brrrr.«
Zu meiner Verwunderung ging Lena nicht einmal ansatzweise
auf Rufus’ Provokation ein – womit sie ihn zweifelsohne mehr traf, als wenn sie sich mit geballten Fäusten auf ihn gestürzt hätte. Für Körperkontakt war mein Bruder schließlich zu haben. Stattdessen sah sie mich ernst an. »Hör mal, Mila. Ich habe schon kapiert, dass du es Sam überlassen willst, mich aufzuklären. Aber über dieses Flügelmotiv dürfen wir beiden uns bestimmt unterhalten, während dein Freund sich mit einem Schwarm Luftpiraten verbrüdert. Wofür stehen die Schwingen?«
Ich knabberte an meiner Unterlippe herum und gab vor, hoch konzentriert an meiner Zeichnung zu arbeiten, in der ich eigentlich die stürmische Naturgewalt Wasser hatte einfangen wollen. Irgendwie war es dann doch eine Skizze von Sams Rückenansicht geworden. Mir gefiel, wie der Wind an seinem Haar riss und das über die Wellenbrecher schwappende Wasser an seinen nackten Füßen leckte. Seine Aura leuchtete zwar sanft, aber doch sichtbar genug, weshalb es mich wunderte, dass Lena sie nicht bemerkte. Dieses Strahlen sagte doch alles über ihn aus. Auf meiner Zeichnung ließ ich die Stellen weiß, wo eigentlich die Aura sein müsste – für den Fall, dass Lena einen Blick darauf warf. Ich wollte ihr nicht erklären müssen, warum ich meinem Freund einen Strahlenkranz verpasste. Die Sprüche, die sie darüber reißen würde, konnte ich mir auch so lebhaft ausmalen.
»Die Schwingen auf Sams Rücken stehen für ein neues Leben, das mit seinem alten kaum noch etwas gemeinsam hat. Sie stehen dafür, dass Sam niemals nach St. Martin zurückgekehrt wäre, wenn es mich hier nicht geben würde. Weil er jetzt zu denen da gehört.«
Ich deutete mit dem Stift auf Ranuken.
Nachdenklich wiederholte ich meine eigene Feststellung im Geist. Es stimmte: Ohne mich wäre Sam nicht in die Menschenwelt zurückgekehrt. Soweit ich wusste, hatte
keine andere der Schattenschwingen, die nach dem Krieg in die Sphäre gekommen waren, diesen Weg eingeschlagen. Sie waren alle mehr oder weniger damit zufrieden gewesen, ihr Dasein auf die Sphäre zu beschränken. Den Wechsel zwischen den Welten zu unterbinden, war eine Sicherheitsmaßnahme gewesen, die mittlerweile offenkundig in Vergessenheit geraten war. Bei diesem Gedanken rann mir ein kalter Schauer über die sonnengewärmte Haut, obwohl ich doch glücklich war, meine drei Lieblingsschattenschwingen in St. Martin zu haben. Am liebsten für immer. Ehrlich gesagt, hätte es mir nicht viel ausgemacht, wenn die Grenze zwischen den Welten plötzlich geschlossen worden wäre und sie deshalb bei mir hätten bleiben müssen.
»Sam sieht wirklich ganz verändert aus.« Lena klang einen Tick benommen, ganz so, als habe sein Anblick ihr eine Überdosis Sam-Zauber verpasst. »Damit meine ich weder, dass er vom Aussehen her sichtlich reifer geworden ist, noch die längeren Haare und sein breites Kreuz … obwohl ich das schon ziemlich beeindruckend finde.«
Wir tauschten ein Grinsen aus, während Rufus
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