Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
nicht ich den Bann gebrochen hätte, sondern er mich? Als Asami dazu überging, meinen Körper abzutasten, um sich zu vergewissern, dass tatsächlich alles quicklebendig war, ließ ich ihn gewähren und redete nur beruhigend auf ihn ein.
»Alles bestens, es ist nichts passiert. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Mir wird schon nichts abfallen. Die Versteinerungsnummer des Bannes hat bei mir nicht geklappt. «
»Sei ruhig.«
Erst nachdem Asami sich restlos davon überzeugt hatte, dass ich ihm nichts vorgaukelte, stellte er seine Untersuchung ein, aber seine Hand blieb auf meinem Oberschenkel liegen. Unruhig rutschte ich hin und her, dann beschloss ich, dass es okay war. Asami brauchte die Nähe offenbar und mich kostete es letztendlich nichts.
»Soll ich jetzt die restlichen Bandagen aufschneiden?«, fragte ich, regelrecht erpicht darauf, etwas zu tun zu bekommen.
»Die anderen Jungs und Mädels haben sich zwar abgesetzt, aber als Zeuge dürftest du wohl ausreichen, wenn ich hier gleich Leichenschändung betreibe.«
Im nächsten Moment bereute ich schon meine lockere Zunge. Bislang war mir der Körper des Schattens nicht wirklich wie ein Leichnam vorgekommen. Jetzt, wo die schützende Hülle verschwunden war, hatte sich das jedoch geändert. Die Bandagen rochen muffig nach Seewasser und sahen nicht mehr annähernd unantastbar, sondern vielmehr äußerst mitgenommen aus. Mit steifen Fingern setzte ich die Klinge an und zerschnitt sie Schicht um Schicht, wobei der seltsame Geruch zunahm. Nicht nach Verwesung, aber trotzdem unangenehm, als hätte man zu lange die Luft angehalten und dann festgestellt, dass alles abgestanden roch. So riecht es bestimmt, wenn man die Zeit anhält, ging es mir durch den Kopf.
Endlich wandte Asami seine Aufmerksamkeit der Hülle zu und half mir bei der Arbeit, indem er die durchtrennten Bandagen beiseite legte. Eine männliche Brust kam zum Vorschein, die Haut von einem ungewöhnlichen Ton wie beschattetes Holz, wobei ein Graustich über das weiche Braun dominierte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemals Blut unter dieser Haut pulsiert hatte. Obwohl ich es vermied, sie zu berühren, streifte ich sie trotzdem mehrfach. Sie fühlte sich eisigkalt und leicht aufgequollen an. Außerdem blieb ein feiner silbriger Schimmer zurück, den ich angewidert an meiner Jeans abwischte.
Mir bot sich keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn meine gesamte Aufmerksamkeit richtete sich auf die Zeichen, die über die Brust und den Rippenansatz eingeritzt waren. Dabei handelte es sich keineswegs um alte Narben. Sie sahen aus, als wären sie vor Kurzem erst hineingeschnitten worden und schwarz angelaufen, weil sie nicht mehr
hatten heilen können. Es waren die Schnitte, die diesen seltsamen Geruch absonderten. Was die Zeichen wohl zu bedeuten hatten? Sie sahen meinen zwar nicht im Geringsten ähnlich, aber da war trotzdem eine nicht zu benennende Gemeinsamkeit, und zwar nicht nur, weil meine Schnitte aussahen, als könnten sie jeden Augenblick wieder aufbrechen … Doch das war etwas, worüber ich lieber nicht weiter nachdenken wollte.
Unter dem linken Rippenbogen befand sich eine Wunde, deren Ränder blutleer auseinanderklafften. Etwas Pechschwarzes steckte in ihr. »Diese Wunde sieht verdächtig nach Shirin aus«, sagte ich, ohne den Blick abzuwenden. »Ein Stich, mitten ins Herz.«
»Sie hätte es ihm rausschneiden und einen Tanz darauf aufführen sollen«, erwiderte Asami trocken. »Daran ist er vermutlich gestorben. Aber erst vor Kurzem … Es sieht so aus, als hätte die Hülle ihn am Leben gehalten, solange sie im Weißen Licht war.«
Je mehr wir vom Schatten freilegten, desto deutlicher wurde, um was für eine ausgesprochen stattliche Gestalt es sich gehandelt hatte. Gar nicht so imposant von der Körpergröße her, aber muskulös und breit gebaut. Ein echter Mann, gestand ich mir ein. Nicht wie die meisten von uns, die aussahen, als würden sie den letzten Sprung zum Erwachsensein niemals tun. Außer Shirin … oder auch Juna. Die alten Schattenschwingen. Als wären sie uns ein Stück voraus.
Ich unterbrach meine Grübeleien, denn ich hatte mich bis zum Kinn des Schattens vorgearbeitet. Verstört hielt ich inne. Sein Gesicht … wollte ich es wirklich sehen?
»Das reicht jetzt doch, oder? Ich meine, müssen wir ihn wirklich …«
»Seine Augen, die müssen wir uns anschauen.« Asami sah genauso elend aus, wie ich mich fühlte.
Mittlerweile war die Steifheit in meinen
Weitere Kostenlose Bücher