Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
dass darin nichts Gutes liegen konnte.
Mit vor Entschlossenheit fest aufeinandergepressten Lippen packte ich den Ring und zog daran. Er rührte sich nicht von der Stelle. Ich grub meine Fingernägel unter ihn, doch es half nichts. Der Ring saß wie angegossen, ein unverrückbares Zeichen für die Liebe, die ich trotz allem für Sam empfand. Mir kam es so vor, als wolle er mir vor Augen führen, dass ich zwar so tun konnte, als würde ich mein Schicksal selbst bestimmen, dass in Wirklichkeit aber alles bereits feststand. Oder vielmehr: festsaß wie dieser verdammte Ring!
Das war zu viel für mich. Hemmungslos weinend, kauerte ich mich zusammen und schaffte es gerade noch, die verwirrt dreinblickende Pingpong in meine Arme zu schließen. Ihr sauber duftendes Fell an meiner Wange schenkte mir wenigstens etwas Trost.
23
Niemals endend
Ich wusste nicht, wie es hatte Nachmittag werden können. Schließlich hatte ich nicht einmal mitbekommen, dass ich eingeschlafen war. Überrascht war ich trotzdem nicht, denn Verzweiflung und Trauer konnten anstrengender sein als jeder Marathonlauf.
Nur allzu bereitwillig überließ ich meinem Körper die Führung, der mich ins Badezimmer leitete, wo ich mechanisch den täglichen Anforderungen nachkam. Genauso ferngesteuert zog ich mich um und schüttelte das Bett auf. Als es jedoch in Richtung Küche gehen sollte, blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich konnte mein Nest nicht verlassen, vollkommen unmöglich. Mein Zimmer erschien mir plötzlich als der einzig sichere Ort auf der Welt. Klar, das war vollkommen irrational, aber ich brachte schlicht nicht die Kraft auf, um mich dagegen zu wehren. Stattdessen stand ich mitten im Raum und spürte das ganze Elend wieder in mir aufsteigen.
Panisch schaute ich mich nach etwas um, an dem ich mich festhalten konnte. Mein Blick fiel auf den Zeichenblock. Das beste Hilfsmittel von allen! Kaum saß ich auf dem Stuhl, hatte ich auch schon eine leere Seite aufgeschlagen … und starrte sie an. Weiß war nicht gut, da musste dringend was drauf, etwas Schönes und Schlichtes. In diesem Moment fiel das getrocknete Ginkgoblatt heraus. Wenn das mal kein Zeichen war.
Vorsichtig lehnte ich das aus zwei Fächern bestehende Blatt gegen ein Buch und legte den Zeichenblock auf meine gegen die Schreibtischkante gestemmten Beine. Das Zeichnen fiel mir überraschend leicht, es war regelrecht erlösend, den Bleistift über das weiße Papier zu führen und es mit einem Abbild des Ginkgoblattes auszufüllen. Eigentlich neigte ich nicht zur Akribie, aber in diesem Fall tat sie mir gut. Jede Vertiefung, jede noch so kleine Verzweigung wollte ich einfangen. Als ich zu der Stelle kam, an der die beiden Fächer des Blattes miteinander verschmolzen, musste ich an das Gedicht denken, das meine Mutter aufgesagt hatte. Das über die Frage, ob zwei Liebende eins sind oder zu einem werden können.
Unwillkürlich wanderte mein Blick zu dem Ring an meinem Finger.
In diesem Moment hörte ich, wie die drei Segler von ihrem Ausflug mit der Wilden Vaart zurückkehrten. Rufus rief meinen Namen, aber ich brachte nicht die Energie auf, ihm zu antworten. Vielleicht auch, weil ich nicht wollte, dass er zu mir kam. Er war schon halb die Treppe hoch, da klingelte das Telefon. Kurz stockte mir der Atem. War das Lena, die mir sagen wollte, dass ihr Herz nun wieder gleichmäßig schlug? Dass sie den Weltenumsturz, den sie dem der Asche entstiegenen Nikolai verdankte, verkraftet hatte? Dass sie mittlerweile ganz gut damit klarkam, dass es tatsächlich geflügelte Wesen aus anderen Sphären gab?
Im nächsten Moment machte Rufus meine Hoffnungen schon wieder zunichte. »Hey, Dad, altes Haus! Rat mal, was ich heute in Bewegung gesetzt habe?« Darauf folgte die detaillierte Beschreibung eines Segeltörns, gefolgt von ein paar Verabschiedungsfloskeln und der Versicherung »Na klar grüß ich Mila von euch. Nur die Küsserei lass ich bleiben.«
Als ein vorsichtiges Klopfen an meiner Tür erklang,
schwieg ich. Die Tür ging trotzdem auf und zu meiner Überraschung trat Shirin ein. Ihr Gesicht war angespannt. Sie musterte mich eingehend.
»Ist Mila in ihrem Zimmer?« Rufus tauchte hinter ihr auf, konnte aber nicht hinein, weil ihm Shirins Arm, der mehr denn je an ein aus Ebenholz geschnitztes Kunstwerk erinnerte, den Weg versperrte. »He, was soll denn das?«
»Möchtest du allein sein?«, fragte Shirin mich.
Ich hegte keinen Zweifel, dass sie, wenn ich bejaht hätte, meinem Bruder den
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