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Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Händen. Sie war dünn wie ein Seil, ihre Glieder waren überaus geschmeidig und sie reichte bis zum schlafenden Nikolai.
    Ich kniete mich neben ihn, atmete tief durch und legte dann vorsichtig meine Hand unter seinen Kopf. Sein gewelltes Haar verfing sich zwischen meinen Fingern und ich spürte, wie er erwachte. Als ich die Kette unterschob, bis sie unter seinem Hals lag, kam Bewegung in sein Mimikspiel, doch ehe er die Augen öffnete, zog ich die Schlaufe in der Kette zu. Nikolai setzte zu einem Schrei an, brachte aber nicht mehr als ein Krächzen zustande. Entschlossen zog ich noch fester. Um seine Hände, die nach mir suchten, kümmerte ich mich nicht, denn ich trug ja das Kleid, das meine Haut vor ihm schützte. Ohne den leisesten Anflug von Reue starrte ich in seine weit aufgerissenen Augen, in denen das mir so verhasste Silber aufblitzte.
    Ich werde es schaffen, sagte ich mir, ich werde uns befreien. Ein für alle Mal.
    Doch dann fassten seine Hände um meine Hüften, und die Berührung veränderte trotz des Kleides alles. Die einzigartige Magie entbrannte, wie sie nur zwischen Mensch und Schattenschwinge in der Sphäre entfacht werden konnte. Nikolais Geist strömte in mich hinein, füllte mich aus, bediente sich der Quellen in meinem Inneren, von denen ich zuvor nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten. Er umfing mich, wandelte einen Teil meines Seins in einen Teil seiner Aura und gab mir als Lohn dafür etwas Erschreckendes zurück: Er blieb in mir verhaftet, band mich an sich, veränderte mich, bis ich mich selbst vergaß. Er nahm gierig, hastig, atemlos … Und ich gab mit jedem Herzschlag bereitwilliger, bis mich plötzlich ein Schmerz durchfuhr.
    Jäh ließ ich die Kette fallen, als sie mir tief in die Handflächen schnitt, und zugleich riss Nikolai seine Hände zurück, als habe auch er den Schmerz wahrgenommen. Die Magie der Berührung verflog, und ich rückte hastig von ihm ab. Quer über meine Handflächen verliefen Wunden, aus denen graue Ströme hervortraten, die sich nach und nach rot verfärbten. Ich wusste nicht, was mich mehr verstörte: der nicht versiegen wollende rote Fluss, oder dass ich seine Farbe erkannte. Auch mein Kleid schimmerte nicht länger grau, sondern silbrig. Ein ausgesprochen vertrautes Silber.
    Was, um Himmels willen, war mit mir passiert?
    Neben mir richtete sich Nikolai auf, lockerte keuchend die um seine Kehle geschlungene Kette. »Keine schlechte Idee«, brachte er mit rauer Stimme hervor. »Wie gut, dass du das Kleid trägst, das ich dir geschenkt habe. Ansonsten wäre ich wohl nicht so glimpflich davongekommen. Zeig mir deine Wunden, damit ich sie schließen kann. Du hast genug Energie verloren.«
    Energie – nicht Blut. Was waren das für Wunden, die mir die Bernsteinkette zugefügt hatte?
    »Nein!«
    Vollkommen außer mir schlug ich meine Hände vor die Brust, als Nikolai nach ihnen langte, und sah, wie sich der eben noch reine Stoff färbte. Die rote Flüssigkeit lief in breiten Strömen an mir hinab.
    Mit festem Griff nahm Nikolai meine Handgelenke. An seinem Hals, da, wo ich die Kette geschlossen hatte, taten sich lilafarbene Blutergüsse auf, während sein Körper weiterhin Grau in Grau erschien. Blutergüsse wie ein geflochtener Kranz aus lila Blüten.
    Etwas in mir kam ins Rutschen, geriet ins Schlittern und fand keinen Halt mehr. Ich zerbrach, als wäre ich eine Eisskulptur, die auf den harten Boden schlug, ein ausgehöhltes Ding und kein Mädchen mit einer Familie, einer Katze und einem Jungen, auf den es sehnsüchtig wartete. Ich war ein Scherbenhaufen, so zersplittert, dass ich niemals wieder zusammengesetzt werden konnte.
    Ich schrie auf, als Nikolais Eiskranz aufblitzte und sein Licht sich mit dem Strom aus meinen Wunden vermischte, bis es sie zum Versiegen brachte. Zugleich ließ der Druck in meinem Inneren nach. Mein Hass, meine Verzweiflung und das zunehmende Gefühl, allmählich wahnsinnig zu werden, wichen einem unerklärlich süßen Gefühl von Verbundenheit. Ob ich wollte oder nicht, ich konnte Nikolai nicht länger hasserfüllt ansehen. Und auch aus seinen Silberaugen war der Zorn gewichen. Er zog mich an sich und bedachte mich mit einem Blick, als sähe er mich zum ersten Mal.
    »Ich hoffe für uns beide, dass Samuel bald kommt«, sagte er. »Wir brauchen ihn zwischen uns, er muss uns voreinander bewahren, ansonsten sind wir verloren.«
    Seine Worte rissen mich aus meiner Benommenheit. Mit aller Kraft, die mir geblieben war, stieß ich

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