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Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Nebensächlichkeit?
    So ging es mir schon den ganzen Tag: Ständig klopften umherirrende Erinnerungsfetzen an, denen der Halt verloren gegangen war. Ich hatte zweifelsfrei ein Problem. Verunsichert tastete ich meine Vergangenheit ab und stellte fest, dass sie einem von Motten zerfressenen Tuch glich. Zwar konnte ich mich an die Fakten erinnern, aber ich konnte sie nicht mehr einordnen. Als hätte eine andere diese Dinge erlebt, eine Fremde, die ich nicht zu fassen bekam.
    Allerdings zerbrach ich mir nicht allzu lang den Kopf darüber. Denn viel mehr als das beschäftigte mich dieses unbekannte Element in meinem Inneren, das dem Kern meines Ichs immer näher kam. Außerdem drehte Nikolai gerade auf. Nachdem er mitten in der Nacht so unsanft von mir geweckt worden war, schien er sich zu Lenas und meinem Schrecken von unserer letzten Berührung vollends erholt zu haben. Seitdem wirbelte er herum und manifestierte überall seine neu gewonnene Energie. Während ich am Wasserlauf, vom Wahnsinn getrieben, mein Kleid zu reinigen versuchte, fügte er dem gläsernen Gebilde hoch am Himmel eine weitere Ebene zu. Nun war es nicht länger ein Gefängnis, sondern eine Festung aus Glas. Eine ziemlich beeindruckende Festung, was Lena dazu brachte, ihre Nägel vor Anspannung zu ruinieren und mich … keine Ahnung, was sein Tun bei mir auslöste.
    Lena schüttelte den Kopf. »Was soll dieser ganze Aufwand? Ich werde echt nicht schlau aus dem Kerl. Eine solche Aufmerksamkeit zu erregen, ist in seiner Situation doch nicht besonders schlau. Mann, ich kann es wirklich nicht ausstehen, ihn so umtriebig zu sehen. Leidend und apathisch war er mir definitiv lieber. Der führt was im Schilde, so viel steht fest. Was meinst du, warum macht der sein Häuschen hübsch? Sam wird doch nicht davon absehen, es niederzureißen, nur weil es den ersten Platz bei Schöner Wohnen gewinnen würde.«
    Ich musste mich regelrecht dazu zwingen, meinen Blick von Nikolai zu lösen, wie er mit weit geöffneten Schwingen durch die Wolken stob, und stattdessen Lena anzusehen. Was war sie doch für ein seltsames Mädchen … Seltsam und anhänglich, geradezu lästig. Wie eine geheime Losung schlich sich dieser Gedanke ein, und erst auf den zweiten Blick begriff ich, dass es sich nicht um meine Meinung, sondern um Nikolais handelte. Sein Eindruck von Lena war so verkleidet in meinen Gedanken aufgetaucht, dass ich ihn für meinen eigenen gehalten hatte. Die Überlagerung unserer Bewusstseinsebenen war so weit fortgeschritten, dass ich die Unterschiede kaum noch auszumachen imstande war.
    Mir gefror das Blut. Im Moment begriff ich noch, dass es sich nicht um meinen Gedanken handelte. Aber wie lange noch?
    »Du irrst dich«, ging ich auf Lenas Überlegung ein. »Nikolai handelt mit Bedacht, denn Spielereien wie dieser Balkon sind nur Zuckerwerk, unter dem sich etwas ganz anderes verbirgt: ein schwer einzunehmendes Bauwerk. Du solltest dich nicht von der Transparenz des Materials täuschen lassen, es ist bestimmt nicht weniger unnachgiebig als Nikolais Wille. Außerdem wird niemand die gläserne Festung erkennen, der nicht weiß, wonach er Ausschau halten muss. Sie ist von außen mit einer Silberschicht überzogen, das macht sie zu einer Art Spiegel, der allen Ahnungslosen nur den Himmel zeigt.« Ahnungslosen wie Sam, denen kein Ortungssignal wie ein Bernsteinring zur Verfügung stand.
    Zwischen Lenas Augenbrauen grub sich eine tiefe Falte. »Woher, zum Teufel, weißt du das mit der Spiegeloberfläche?«
    Wieso, zum Teufel, weißt du das nicht, du dummes Huhn?, wollte ich sie schon anblaffen, als mir klar wurde, dass mein Begreifen tatsächlich merkwürdig war. Ein weiterer eingepflanzter Gedanke, das musste es sein. Doch erzählen wollte ich das Lena nicht, sie war ohnehin schon auf dem Kriegspfad. Wenn sie erfuhr, dass diese Schattenschwinge, die da wie ein Silberschweif den Himmel durchkreuzte, meine eigenen Gedanken überlagerte, würde sie sich bestimmt zu einer Dummheit hinreißen lassen. Was vollkommen unnötig war, denn ändern konnte sie ohnehin nichts daran.
    »Es scheint mir ganz selbstverständlich, dass Nikolai auf diese Weise vorgeht«, redete ich mich heraus. »Genau wie es mich nicht überrascht, dass er nach unserer letzten Berührung damit beginnt, sein Reich auszubauen und uns abzuschirmen. Er erstarkt.«
    »Während du schwindest.«
    Der Kummer, der in ihrer Behauptung mitschwang, setzte mir zu, allerdings nur kurz. Dann relativierte eine andere

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