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Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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ihn fort und machte kehrt, bevor er erneut nach mir langte. Ich lief, ohne mir auch nur einen Gedanken darüber zu machen, wohin ich trat. Nur weg, weit weg, war das Einzige, das ich dachte. Weit weg, obwohl es längst zu spät war.
    ∞∞
    Lena fand mich bei Sonnenaufgang bei einer Wasserquelle, die als kleine Springflut aus einer Glaswand trat. Ihre Austrittsstelle war umkränzt von einem jugendstilartigen Relief. Mit jeder Stunde tauchten neue Elemente in unserem Käfig auf, der mittlerweile mehr einem Palast glich. Ich war vollkommen durchnässt, aber es gelang Lena trotz aller Bemühungen nicht, mir das Kleid auszuziehen. Dieses verfluchte Gewand hielt mich gefangen, es war mir zur zweiten Haut geworden. Wärme suchend lehnte ich mich an meine Freundin, während meine Finger über den roten Stoff strichen, dessen Farbe auszuwaschen mir nicht gelungen war.
    »Mädchen, was machst du denn bloß für Sachen?«, raunte Lena in mein Haar.
    »Ich wollte ihn töten und ich hätte es getan. Fast wäre es mir gelungen, so wahr ich hier sitze.«
    Nur mühsam kam mir das Geständnis über die Lippen. Es war schwer, so schwer, mich überhaupt daran zu erinnern, wie die Kette in meinen Händen lag, wie ich sie um Nikolais Hals zuzog, um ihm den Atem zu nehmen … War das nicht in einem anderen Leben gewesen? Hatte nicht eine ganz andere Mila es gewagt, Nikolai anzugreifen? Die Mila, die nun am Ufer des glasklaren Bachs saß und nicht zu zittern aufhörte, würde das auf keinen Fall tun. Allein der Gedanke war vollkommen absurd.
    »Ich wollte Nikolai töten, ich wollte es so sehr. Und jetzt weiß ich nicht einmal mehr, warum. Ich kenne die Gründe, aber ich begreife sie nicht, sie haben nicht länger etwas mit mir zu tun. Kannst du dir das vorstellen?«
    Lenas Gesicht wurde grauer als grau, während sie mich grob ein Stück zurückdrängte, um mich eingehend zu betrachten. »Er hat schon wieder von dir genommen, richtig?«
    »Ich habe ihm gegeben«, erwiderte ich, nicht recht begreifend, warum mir dieser Unterschied wichtig war. Die Lüge erschien mir durchaus wahr.
    »Mila, dir ist schon klar, dass Nikolai dich jedes Mal beraubt, wenn er seine verfluchten Pfoten an dich legt, oder?«
    Energisch schüttelte ich den Kopf. »Berauben ist falsch ausgedrückt, denn er gibt mir im Gegenzug ja etwas wieder.«
    »Und das wäre?«
    Ich horchte in mich hinein. Da bewegte sich etwas in der Dunkelheit, die Nikolais Berührung geschaffen hatte, dort, wo zuvor ein Großteil meiner selbst gewesen war, bevor er es verdrängt hatte. Etwas Neues nahm in mir Gestalt an. Im Augenblick konnte ich seine Form nicht mehr als erahnen. Es flog pfeilschnell durchs Nichts, doch das Ziel kannte ich noch nicht.
    Erst als Lena mich an den Schultern rüttelte, wurde mir bewusst, dass ich sie vollkommen vergessen hatte. Wie lange wir schon voreinander saßen, konnte ich nicht sagen, nur dass Lena in der Zwischenzeit geweint haben musste. Da waren noch ein paar Schlieren auf ihren Wangen. Sie blieben farblos, obwohl vieles andere in intensiveren Farben auftrumpfte.
    »Ich werde mich für dich erinnern«, sagte sie, während ich fasziniert das Glitzern betrachtete, das der blassrote Sonnenaufgang auf die Wasseroberfläche zauberte. »Auch wenn er es dich vergessen lässt, ich weiß, wer du bist.«

27 Das Netz wird ausgeworfen
    »Das ist nicht gut, gar nicht gut. Ich tipp mal mehr so auf volle Katastrophe. Dieser Mistkerl ist viel zu erholt und aktiv, das macht mich ganz krank, ehrlich. Ich meine, was treibt der unentwegt? Scheiße.«
    Lena stand neben mir auf dem von einer durchsichtigen Blase umgebenen Balkon, der seit Neustem meine Kammer zierte und die Aussicht auf noch mehr Wolken bot. Dabei knabberte sie an ihren Fingernägeln.
    Unvermittelt drängte sich mir das Bild von einer wesentlich jüngeren Lena auf, die eine Grimasse zog, nachdem sie sich selbst eine bittere Tinktur auf ihre bis aufs Nagelbett abgeknabberten Nägel geschmiert hatte, was sie jedoch nicht vom Knabbern abhielt. Ich hatte mich damals darüber amüsiert, wie ernst Lena ihren Kampf gegen diese schlechte Angewohnheit nahm. Und eigentlich hatte sie ihn auch gewonnen … bis jetzt.
    Die Erinnerung flackerte auf und war dann wieder verschwunden, bevor ich sie zeitlich einordnen konnte. Wann war das mit dem Nägelknabbern noch einmal gewesen – als sie zwölf war oder ein Jahr später, als ihre Eltern eine Ehekrise hatten? Und warum sinnierte ich jetzt über eine solche

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