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Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Möglichkeiten, die es einem bot. Es war jedes Mal aufs Neue faszinierend, dass ein so dünnes Blatt eine eigene Welt einzufangen vermochte. Und genau das sollte dieses Blatt nun für mich tun: meine Gefühle einfangen und sie bewahren, bis ich Nikolais Zugriff entkommen war. Ohne eine Idee zu haben, was genau ich dem Papier anvertrauen wollte, beobachtete ich, wie es in der Dunkelheit sanft leuchtete. Ich erkannte sogar die feinen Unebenheiten in der Oberfläche, die nach und nach ein Muster ergaben, ähnlich einem Wolkenbild, das zunehmend deutlicher wurde, je länger man es betrachtete. Schon lustig, dass der menschliche Geist überall Gesichter zu entdecken glaubt. Sogar in einem blanken Stück Papier, dachte ich amüsiert, um im nächsten Moment verblüfft festzustellen, dass es sich tatsächlich um ein Gesicht handelte. Und nicht um irgendeins: Dieses Gesicht gehörte unverkennbar mir.
    Ehrlich erstaunt studierte ich die detailverliebte Abbildung meiner Züge, die aussahen, als wären sie in das Papier geprägt worden. Mein spitzes Kinn, das angedeutete Lächeln, das meine Freude verriet … Sogar die Pigmentstörung unterhalb meines Wangenknochens war zu erkennen, die ansonsten kaum je einer bemerkte. Am meisten jedoch fesselte mich der Ausdruck in meinen Augen: Da war eine Weichheit, als fühlte ich mich so sicher, dass es nicht den geringsten Grund gab, meine inneren Schutzvorrichtungen hochzuziehen. In diesem Moment, den ich da eingefangen hatte, war ich ganz ich selbst, glücklich, in mir ruhend …
    Obwohl: nicht ganz, denn da war dieses Funkeln, das ebenso wie mein lächelnder Mund darauf hinwies, dass ich jemanden ansah, jemanden ganz Spezielles.
    Schwer atmend lüftete ich den Ausschnitt meines Kleides, mir war plötzlich nämlich ganz schön heiß. Es gab nur eine Person, der es gelang, dass mir gleichzeitig warm ums Herz wurde und meine Haut vor Aufregung zu glühen begann.
    Ich stand unter dem Einfluss des Sam-Zaubers, unverkennbar.
    Dann begriff ich das Bild: Ich sah mich, wie Sam mich sah. Wäre ich eine Schattenschwinge, hätte meine Aura jetzt bestimmt so hell aufgeleuchtet, dass das Papier in Brand geraten wäre. Ein entflammtes Mädchen, absolut glücklich verliebt.
    Ich verkniff mir ein Lächeln. Stattdessen drückte ich die Zeichnung fest an die Brust, mein Form gewordenes Gefühl für Sam, das Besondere, das er für mich darstellte, jene verwirrend schöne Empfindung, die mich damals beschlichen hatte, als er noch nicht mehr als Rufus’ bester Freund für mich gewesen war. Es war der Anfang all dessen, was sich seitdem zwischen uns entsponnen hatte, die Wurzel unserer Liebesgeschichte. Was auch immer Nikolai mir antun würde, dieser wichtigste Bestandteil meines Lebens war vor ihm in Sicherheit.
    Während ich die Zeichnung behutsam zusammenrollte und im Ärmel des Kleids versteckte, wanderten meine Gedanken zu Sam. Allerdings nicht zu der Zeit, in der wir glücklich miteinander gewesen waren, sondern zu unserem letzten Aufeinandertreffen in der brennenden Halle. Wenn ich richtig gerechnet hatte, waren seitdem bereits vier Tage vergangen. Vier Tage in Nikolais Gewalt. Seither war er die einzige Schattenschwinge, die uns unter die Augen kam. Ansonsten blieb der Himmel leer, wenn man von den Wolken, dem Regen und dem in der Ferne schimmernden Meeresspiegel absah. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass Sam die Hölle einfrieren würde, um zu mir zu gelangen – doch dazu musste er die Auseinandersetzung mit Nikolai lebend überstanden haben. Sofort suchte mich die grauenhafte Erinnerung heim, wie er mehr tot als lebendig in meinen Armen gelegen hatte.
    Ich krümmte mich zusammen und unterdrückte ein Aufstöhnen.
    Sam hatte überlebt, er hatte die Augen geöffnet und mich angesehen! An dieser Überzeugung musste ich mich festhalten, ansonsten wäre ich schon bald nicht mehr als Nikolais Marionette, derer er sich endlos bediente, bis er so weit hergestellt war, dass Sam ihm nichts anhaben konnte. Genau darauf würde es hinauslaufen.
    Und was unternahm ich dagegen?
    Ich hockte herum und zermarterte mir das Hirn. Seit wann war ich, bitte schön, eine Prinzessin, die auf ihren Retter wartete, obwohl jeder weitere Tag sie dem Abgrund näher brachte?
    Schluss damit, nahm ich mir vor. Mag sein, dass du nichts an deiner Situation ändern kannst, aber du solltest es zumindest versuchen.
    Darauf bedacht, Lena nicht zu wecken, glitt ich aus dem Zimmer und tapste auf Zehenspitzen die

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