Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
sonniges Gemüt eher ungewöhnlich war. Gut möglich, dass es damit zusammenhing, dass der Junge nach meiner Ansage den Kopf so tief zwischen die Schultern zog, als versuchte er sich in sich selbst zu verkriechen.
Toni winkte mir zu, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Er lächelte zwar, aber das sah nicht sonderlich echt aus. Tja, offenbar bereuten wir es beide, dass ich mich zu diesem Ausflug hatte breitschlagen lassen. »Mensch, Sammy. Du bist doch der beste Kumpel von Rufus Viridis , da müsstest du doch eigentlich wissen, wie man mit den Kids umgeht.«
»So, meinst du?« Meine Antwort war eher ein Knurren. Ich ging mir langsam selbst auf den Keks.
Toni checkte mit einem Blick in die Runde, ob alles okay war bei der Gruppe, dann paddelte er mit seinem Kajak direkt an meine Seite und flüsterte: »Hör mal, man muss kein Hellseher sein, um zu kapieren, dass du die Leute mit deiner Art vor den Kopf stößt. Ein bisschen schlechte Laune ist ja okay, aber bei dir kommt das nicht wie ein bisschen rüber, sondern richtig heftig. So ist das bei dir, entweder wirkst du extrem sympathisch oder … erschreckend bis furchteinflößend. Ja mei, ist schon klar, dass es dir nicht geschmeckt hat, die Mila allein im Bett zurückzulassen. Tu uns trotzdem den Gefallen und hör auf, solche dräuenden Schwingungen in den Kosmos zu senden. Das grenzt ja an Stimmungsverstrahlung, du Umweltsünder.«
Ich musste gegen meinen Willen grinsen – allein schon, wie Toni mit seinem klangvollen Akzent »dräuende Schwingungen« aussprach, war große Klasse. »Alles klar, ich reiß mich zusammen. Jetzt gleich, hier und sofort. Tut mir leid, dass ich derartig extrem rüberkomme, das lag wirklich nicht in meiner Absicht.«
Es war mein absoluter Ernst, deshalb blendete ich meinen Frust fortan aus und konzentrierte mich auf meine Aufgabe. Sogar das Meeresfunkeln, das mich geradezu herausforderte, darin einzutauchen, ignorierte ich. Das klappte sogar ganz gut, bis Suse, die mit ihrem Ehemann meinen Fortgeschrittenenkurs für Windsurfer besuchte, auf den Horizont zeigte.
»Das ist ja unglaublich, guckt euch das an! Die Wolken sehen aus, als wären sie riesige Bausteine, die sich zu einem Turm aufstapeln. Das sieht unglaublich echt aus.«
Quälend langsam wendete ich meinen Kopf in die Richtung, in die Suse mit fasziniertem Gesichtsausdruck deutete. Um mich herum schnappte die gesamte Paddeltruppe nach Luft. Ohne es gesehen zu haben, ahnte ich, was die Menschen um mich herum in Verzückung und noch mehr in Ehrfurcht versetzte: ein Wunder. Ein Wunder, das aus meiner Sicht nur ein Zeugnis dafür war, dass ich die Welt der Schattenschwingen zwar verlassen hatte, sie deshalb aber noch lange nicht meiner Vergangenheit angehörte.
In weiter Ferne am Horizont zwischen Meeresspiegel und der Himmelshöhe türmten sich Wolken von dunkelster Gewitterfarbe bis hin zu Nebelgrau auf. Jedoch keineswegs beliebig, sondern als habe sie jemand einem Bauplan gemäß zu einem Gebäude zusammengefügt. Etage für Etage ragte es auf, eindeutig von einem gestaltenden Willen angeleitet. Wolken taten so etwas nicht von allein, nein, ganz bestimmt nicht. Die Menschen um mich herum mochten diese Sensation für eine Sinnestäuschung halten, die durch ein ungewöhnliches Zusammentreffen der Naturgewalten zustande kam, aber ich konnte mich damit leider nicht trösten, dafür sah dieses im Entstehen begriffene Wolkenschloss für meine Schattenschwingen-Sinne zu überzeugend aus. Die Kajaks, die gerade wieder einmal durch den Schleier hervorbrechende Sonne und sogar die seitlich von uns liegenden Klippen gerieten angesichts dieses Werks unscharf, als wäre die Realität nur ein blasser Traum und der Wolkenpalast das einzig Reale.
Wie besessen rieb ich meine Augen in der Hoffnung, die aus den Fugen geratene Welt würde wieder ihre richtige Position einnehmen. Es konnte doch unmöglich wahr sein, dass sich am Horizont von St. Martin ein Gebilde aus Schattenschwingenmagie erhob! Denn um nichts anderes handelte es sich, das war mir so klar wie die Tatsache, dass die Pforte in die Sphäre sich hinter mir nicht geschlossen hatte.
»Wir müssen da unbedingt hin, sofort!«, beschloss Breiti und begann auch schon wie ein Wilder zu paddeln. Auf seinem Gesicht hatte sich ein ekstatischer Ausdruck ausgebreitet, als wäre ihm nach jahrelanger Meditation endlich eine Vision erschienen. Offenbar hielten die Menschen diesen sich immer weiter auftürmenden Wolkenpalast ebenfalls nicht
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