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Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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wo sie war. Unsicher ließ ich meine Fingerkuppen über die gezeichnete Aura gleiten, die einerseits nichts als Kohlestiftpartikel waren, andererseits einen Zauber in sich trugen, den mein menschlicher Verstand nicht zu begreifen vermochte. Uralte Schattenschwingenmagie … Hoffentlich kehrte Sam nicht früher als angekündigt von der Paddeltour zurück, ansonsten würde ich in arge Erklärungsnot geraten.
    Es fiel mir schwer, mich richtig auf die Markierungen in der Aura einzulassen, weil ich zu hibbelig war und Shirins Gesicht mich fesselte, auch wenn es mir nicht perfekt gelungen war. Das hatte mich schon während meiner Arbeit an der Zeichnung gestört und Shirin hatte sich über meine Unzufriedenheit amüsiert. Ihr Lächeln, das viel zu selten einen Weg in ihre Augen fand, war auch hier nicht zu sehen. Ihre wunderschönen ausdrucksstarken Augen, die von einem weichen Sandton, umringt von einem grünen Reif, bestimmt waren – wenigstens die waren mir gelungen, genau wie die Traurigkeit, die in ihnen lag. Ich musste schlucken, doch die Enge in meiner Kehle wollte nicht weichen. Warum nur hatte ich Shirin so traurig gezeichnet? Jetzt wünschte ich mir inständig, einfach den Kohlestift anzusetzen und ihrem Gesichtsausdruck mehr innere Ruhe mitzugeben.
    Und dann, vollkommen unvermittelt, blickte ich direkt in Shirins Augen.
    Keine auf Papier verewigte Momentaufnahme, die von den beschränkten Fähigkeiten der Zeichnerin erzählte, sondern wirklich und wahrhaftig Shirins lebendige Augen. Sie nahmen mein gesamtes Sichtfeld ein.
    Ich musste mich zwingen, nicht zurückzuschrecken und damit unsere Verbindung zu unterbrechen. Dabei war mir unklar, ob sie mich ebenfalls sah oder ob es sich um eine Art Einbahnstraße handelte und sie keine Ahnung hatte, dass ich ihr gerade in die Augen blickte.
    Mein Puls raste verboten schnell, doch irgendwie gelang es mir, mich zu sammeln. Das hier war vermutlich meine einzige Gelegenheit, etwas über Shirin herauszubekommen. Nur was? Was verriet mir dieser starre Blick? Dann machte es »klack«. Etwas spiegelte sich auf ihrer Iris.
    Ich sah, was Shirin sah.
    Der Umriss eines Gebäudes, hoch und schlank aufragend. Vor lauter Erleichterung musste ich lachen. Wenn ich mich nicht irrte, dann blickte Shirin auf den Leuchtturm von St. Martin. Und zwar von einem Ort aus, der sich hervorragend als Unterschlupf für gestrandete Schattenschwingen anbieten würde.
    Einen Moment lang stand ich nur da und kaute auf meiner Unterlippe. Dann riss ich ein Stück Papier aus meinem Block und schrieb Sam eine Nachricht, die nicht ganz der Wahrheit entsprach. Zwar hatte ich wirklich vor, eine Freundin zu besuchen, der es nicht gut ging, aber dass diese mich angerufen hatte, stimmte keineswegs. Ihre Nachricht war mir nämlich auf einem ganz anderen Weg zugegangen.

6 Das Wolkenportal
    Sam
    Es ist nicht so, dass ich etwas gegen’s Paddeln hätte. Warum auch? Es hat mit Wasser und Bewegung zu tun, beides Dinge, die ich sehr mag. Nur mit Geschwindigkeit leider nicht, aber man kann halt nicht alles haben.
    An diesem Nachmittag herrschte außerdem das perfekte Wetter für einen solchen Ausflug: Der Himmel war von einer leichten Wolkendecke bedeckt, die immer wieder einmal zerfaserte und vereinzelte Sonnenstrahlen auf die gekräuselten Wellen fallen ließ. Dieses Lichtspiel oder allein der beständige Tanz des Meeres hätten für gewöhnlich ausgereicht, um mich friedlich zu stimmen.
    Tat es aber nicht.
    Ich war schlecht gelaunt, und egal, wie sehr ich mich bemühte, es mir nicht anmerken zu lassen, fasste jeder einzelne Teilnehmer aus der Paddelgruppe mich mit Samthandschuhen an. Besonders diejenigen, die mich schon von Surfkursen kannten, wirkten ernsthaft verunsichert. Wahrscheinlich fragten sie sich, ob ich der böse Zwillingsbruder von dem netten Kerl war, der ihnen ansonsten geduldig erklärte, wie man beim Surfen das Gleichgewicht hielt und zugleich tausend andere Dinge berücksichtigte. Vermutlich sagte ihnen ein Überlebensinstinkt: Ärgere keine Schattenschwinge, die eh schon angefressen ist. Allein dieser alberne Gedanke brachte mich noch mehr auf, denn natürlich hatte in dieser Gruppe niemand außer mir die geringste Ahnung, dass es Schattenschwingen gab.
    Während ich einen fünfzehnjährigen Jungen mit dem schönen Spitznamen »Breiti« darauf aufmerksam machte, dass alle anderen es nicht so witzig fanden, durch seine Paddelei nassgespritzt zu werden, lag Tonis Stirn in Falten, was für sein

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