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Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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einmal mit Seidenbahnen oder einem noch viel edleren Stoff ausgeschlagen gewesen sein mochten. Ohnehin war die Halle nicht mehr als ein Relikt, ähnlich dem verwaisten Wachtturm, den ich in einen Unterschlupf für Mila verwandelt hatte. Ihre Stirnseite bestand aus einer oval geformten, gut zwanzig Meter weiten Öffnung, durch die man bequem mit weit ausholenden Schwingen fliegen konnte. Wofür auch immer diese Halle einst genutzt worden war, nichts kündete mehr von ihrer längst vergessenen Aufgabe.
    Ich trat an die steinerne Brüstung, an der die Zeit sichtbare Spuren hinterlassen hatte, und blickte hinaus. Die Morgendämmerung zeichnete sich ab und ich konnte Asami nur zustimmen: Hierhin wären wir ohne Schwingen nicht gekommen.
    »Wenn ich geahnt hätte, wie wild und zerklüftet dieser Berg in der Sphäre aussieht, wäre ich nicht bloß immer aufs Meer hinausgeflogen. Die Aussicht ist großartig, ganz anders als in der Menschenwelt. Dort ist diese Gegend ein gut erschlossenes Wandergebiet, das größtenteils aus Brotzeithütten und Parkplätzen besteht. Ich habe mal an einer Exkursion mit meinem Biokurs dorthin teilgenommen, das war ganz schön deprimierend. Gezähmte Natur hat mir schon immer auf den Magen geschlagen.«
    »Es gibt in der Sphäre noch so viel zu entdecken«, sagte Asami. »Aber du ziehst ja offenbar den Blick auf Parkplätze vor.«
    Ich sparte mir eine Antwort und ging die Halle in der Erwartung ab, auf jene Erinnerungsspuren zu stoßen, die Asami erwähnt hatte, doch ich bekam nicht mehr als eine vage Ahnung davon, dass dieser Ort einst von großer Bedeutung gewesen war.
    »Wozu hat die Halle früher eigentlich gedient?«
    Asamis Augenbrauen zogen sich zusammen. »Es offenbart sich dir also nicht von alleine?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Dann bist du schwächer, als ich dachte. Dieser Berg , wie du ihn nennst, ist nämlich nichts anderes als die ehemalige Pforte einer einst einflussreichen Schattenschwinge namens Sora. Wo heute nur noch dicht auf dicht liegende Gesteinsbrocken zu erkennen sind, stand früher ein Bauwerk aus Stein, das in vielen Liedern besungen wurde. Nicht nur, weil die steinernen Hallen selbst die verwöhnteste Schattenschwinge beeindruckt haben, sondern auch, weil Sora die Erste war, die ihrer Pforte eine beständige Form verliehen hat. Die aufgetürmten Wolken vor der Küste heute Nachmittag stehen in einer langen Tradition, früher waren sie Denkmäler der Verbundenheit zwischen Sphäre und Menschenwelt. Zwei Reiche, die einander spiegelten und doch grundverschieden waren, aneinandergebunden durch Pforten, die jedermann durchschreiten konnte.«
    »Wenn du für ›jedermann‹ sagst, dann meinst du: Da durfte wirklich jeder durchgehen, auch die Menschen? Als würde ich eine Brücke überqueren, um von einer Seite des Parks auf die andere zu kommen?« Ich konnte es kaum fassen.
    »Ja«, bestätigte Asami mit wenig Begeisterung. »Damals glaubte man eben, Sphäre und Menschenwelt würden zusammengehören. Man sah die Unterschiede, aber noch mehr sah man die Gemeinsamkeiten. Wie du weißt, ist daraus nichts Gutes erwachsen, nur Unheil auf beiden Seiten. Seit der Schatten die Welten entzweit hat, ist zumindest in die Sphäre Frieden eingekehrt, während der Zustand der Menschenwelt … Nun, von ihnen habe ich nichts anderes erwartet. Ihnen wurde ein neuer Blick auf ihre Vergangenheit geschenkt, während wir uns qualvoll und im vollen Bewusstsein des Verlusts von unserer abwenden mussten. Du musst wissen, ich bin in jener Zeit aufgewachsen, als die Erinnerung der Menschen gerade erst umfassend verändert worden war. Was sie für ihre Vergangenheit hielten, bestand nur aus ein paar Brocken, die ihnen in der Eile von den Schattenschwingen zugeworfen worden waren. Daran hielten sie sich fest wie Ertrinkende, und in ihrer Verzweiflung richteten sie sich gegen alles, was nicht zu den Brocken passte. Gegen einen Jungen etwa, dessen Augen nicht dunkel, sondern pechschwarz und damit unleugbar andersartig waren.« Asami brach unvermittelt ab, und ich war versucht, weiter nachzufragen, entschied mich dann angesichts seiner finsteren Miene dagegen. Zum ersten Mal bekam ich eine Ahnung davon, warum er die Menschenwelt verabscheute: Der Grund dafür lag offenbar in seiner Kindheit, die von Argwohn und Widerwillen wegen seiner Andersartigkeit geprägt gewesen sein musste. Dieses neue Wissen beschäftigte mich so sehr, dass ich nicht weiter darüber nachdachte, dass die Anfänge der

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