Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
nicht nur schlecht. Schließlich eröffnete sich mir gerade die Chance, nicht nur Mila zurückzuholen, sondern auch Teil ihrer Familie zu bleiben, obwohl ich eine Schattenschwinge war.
Rufus klatschte in die Hände. »Also, dann mal Action. Zuerst organisiere ich Klamotten für dich, darin bin ich mittlerweile unschlagbar gut. Mit so ’nem Stationshemdchen kommst du nämlich nicht weit. Und du siehst währenddessen zu, dass du diesen widerlichen Krankenhausgestank loswirst, Sam. Auf geht’s.«
20 Schwerer Gang
Die Fahrt zu den Levanders bekam ich kaum mit, obwohl Ranuken über meiner Schulter hing, um auch ja nichts von dem Schauspiel zu verpassen, das sich vor der Windschutzscheibe abspielte. Unter anderen Umständen hätte ich kurzerhand den Platz mit ihm gewechselt und mich auf die Rückbank zwischen die Hamburger-Schachteln und vergilbten Kicker -Ausgaben gequetscht, aber ich war schon froh, es überhaupt bis zum Auto zu schaffen. Einmal in den Beifahrersitz gefallen, war ich vollauf damit beschäftigt, mir eine Erklärung für Milas Eltern zurechtzulegen, und ließ mich nur ablenken, wenn Ranuken mir lautstark »boah!« ins Ohr brüllte, weil Rufus gerade auf sagenhafte 67 km/h beschleunigte. Unter einem Geschwindigkeitsrausch verstand ich wirklich etwas anderes.
Milas Eltern zu sagen, dass ich eine Schattenschwinge war, die aus einer Welt namens Sphäre stammte, erschien mir – gemessen an unserem eigentlichen Problem – relativ einfach. Nur, was sollte ich ihnen sagen, wo Mila steckte? Ich wusste es doch selbst nicht. Die Verbindung zwischen uns war zerschlagen und die Trennung auf eine solche brutale Weise geschehen, dass ich jedes Mal aufstöhnte, wenn ich bloß daran dachte. Mila hatte sich den Ring vom Finger geschnitten, sie hatte sich selbst verstümmelt, um mich wachzurütteln. Darüber würde ich niemals hinwegkommen, unabhängig von dem, was noch kommen mochte. Unwillkürlich umfasste ich meinen Ring, der nun nicht mehr war als ein gewöhnliches Schmuckstück, ein breiter, in dunklen Gold- und Honigtönen schimmernder Reif. Obwohl sich mein Inneres dagegen sträubte, versuchte ich ihn abzuziehen, was mir jedoch nicht gelang. Er saß wie angegossen an meinem Ringfinger, ein stummes Mahnmal meiner unveränderten Zuneigung. Unverdrossen sendete er die Botschaft meiner Gefühle aus, nur dass sie nicht länger erwidert wurde. Jedenfalls nicht wahrnehmbar für den Ring, auch wenn Mila mich weiterhin liebte, wie ihr letztes Lächeln bewiesen hatte.
»Wir sind da«, sagte Rufus und schluckte hörbar.
Das klang ganz danach, als wäre da einer nicht mehr ganz so mutig.
Ich atmete tief durch, dann stieg ich aus dem Wagen. Nicht mit halb so viel Schwung wie gewöhnlich. Außerdem musste ich mich am Türrahmen festhalten, bis der Schwindel nachließ. Verdammt, ich brauchte mein Katana! In diesem geschwächten Zustand würde ich nicht weit kommen, vermutlich nicht einmal bis in die Sphäre. Warum hatte ich es bloß so leichtfertig zurückgelassen?
Rufus riss die hintere Beifahrertür auf. »Komm schon, du Sam für Arme. Beweg endlich deinen Hintern.«
Ranuken ließ sich von dieser Ansprache nicht sonderlich beeindrucken. »Nehmt es mir nicht übel, aber ich warte lieber im Auto, bis ihr mit dieser Eltern-Aufklärungs-Kiste durch seid. Daniel Levander ist ein Berg von einem Mann, der hat selbst den lästigen Kraachten auf dem Krankenhausflur nach allen Regeln der Kunst zusammengestaucht, als der nachgefragt hat, warum du auf der Intensivstation liegst. Waren ja auch echt dreiste Fragen: Ob du vielleicht was mit dem mysteriösen Feuer zu tun hast, von dem nicht die kleinste Spur übrig geblieben ist, bei dem sich aber so viele Partygänger verletzt haben? Von Herrn Levanders Antwort dröhnen mir noch immer die Ohren. So mutig bin ich nicht, dass ich unbedingt dabei sein muss, wenn Sam ihm beichtet, was Sache ist.«
»Feigling«, raunte ich, obwohl ich Ranukens Entscheidung nachvollziehen konnte. Schließlich hatte ich auch einen Heidenrespekt vor Daniel Levander. Hoffentlich sah ich elend genug aus, damit er Mitleid hatte und mir einen schnellen Tod bescherte.
Ranuken zuckte bloß mit der Schulter. »Lieber ein Feigling, als den Kopf abgerissen zu bekommen, weil man zufällig rumsteht, während ein gewisser Herr Vater Dampf ablässt. Stürzt ihr beiden euch mal schön allein in die Schlacht, ich bleibe solang im Auto sitzen. Ach, übrigens: Hier ist deine Lederschiene, die habe ich im Krankenhaus an
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