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Schattenseelen Roman

Schattenseelen Roman

Titel: Schattenseelen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Krouk
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wütend sah sie, wie Adrián sich aus dem Raum zurückzog und die Goth-Lady sich neben sie hockte. Am liebsten hätte sie die junge Frau weggeschubst. Die Gegenwart irgendwelcher Freaks war das Letzte, was sie brauchte.
    Erstaunlicherweise wirkte die Nähe der Unbekannten jedoch beruhigend auf sie.
    Evelyn blickte auf und bekam ein Stofftaschentuch mit einer feinen Spitze um die Ränder gereicht. Sie schnäuzte sich. »Das ist verrückt. Ich atme und fühle … Wie kann ich tot sein?« Evelyn knetete das Tuch in den Händen. In einer Ecke las sie die Stickerei: M. N. R.
    »Du kannst mich Maria nennen«, schlug die junge Frau vor. »Das Totsein zu akzeptieren ist schwer. Als Krankenschwester kennst du sicherlich die fünf Sterbephasen: Nicht-wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depression und schließlich Akzeptanz. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir die ersten vier überspringen und gleich mit der Akzeptanz anfangen würden.«
    Evelyn wehrte sich mit aller Kraft gegen den Gedanken.
»Es ist eine Sache, eine Nachricht vom nahenden Tod zu bekommen, und eine ganz andere, zu erfahren, man sei bereits tot!« Im Geiste durchlebte sie den Sturz aus dem Fenster. Zumindest den Teil, bevor sie das Bewusstsein verloren hatte. War sie ohnmächtig geworden, oder war sie in Wirklichkeit auf dem Asphalt aufgeschlagen? Was hatte es mit dem Schlangenbiss auf sich? Von den Fragen wurde ihr ganz übel.
    »Es gibt ein Leben nach dem Tod«, sagte die Goth-Lady. »Nur ein anderes, als manche es sich vorstellen, und das sie sich ganz bestimmt nicht wünschen.«
    »Und wer seid ihr? Todesengel? Geister?« Einfach nur ein Haufen Verrückter?
    »Nachzehrer.« Maria nahm ihr das Taschentuch ab, faltete es sorgfältig zusammen und steckte es in eine ihrer Taschen im Korsett.
    »Nach-Wer?«
    »Hätte ich ›Vampire‹ gesagt, hättest du damit mehr anfangen können, nicht wahr?« Maria seufzte theatralisch. »Prominenz ist auch in unserer Welt das A und O.«
    »Ihr seid also Vampire?« Es überraschte Evelyn, über diese Möglichkeit in aller Ernsthaftigkeit nachzudenken. An einem einzigen Tag, oder besser, während einer einzigen Nachtschicht geriet ihre zwar nicht vollkommene, aber wenigstens logische Welt aus allen Fugen. Sie wünschte sich einen Anker, an dem sie sich in diesem Irrsinn festhalten könnte. Seltsamerweise fühlte sie sich in Marias Gegenwart wie in einem ruhigen
Hafen. Die junge Frau strahlte solch eine Stärke aus, dass Evelyn langsam ihre eigene Sicherheit wiedererlangte.
    »Nachzehrer. Zumindest bevorzugen wir diese Bezeichnung. Klingt viel eleganter als ein ›Gierrach‹ oder ›Totenküsser‹.« Marias Tonfall schlug in kokett um. In die blauen Augen, die durch den schwarzen Kajal noch intensiver erschienen, schlichen sich heitere Funken und brachten etwas Unbeschwertes mit sich. In diesem Moment sah sie wie ein gewöhnliches neunzehnjähriges Mädchen aus, das noch viel Unsinn im Kopf hatte, während sie sich schon für erwachsen hielt. »Immer werden wir mit den Blutsaugern in einen Topf geworfen, dabei saugen wir bloß die Lebensenergie aus. Pf!«
    Evelyn musterte Maria, konnte aber beim besten Willen nicht erkennen, ob die Worte ernst gemeint waren.
    »Und eure Opfer werden auch zu … solchen Dingern? Ist Bernulf vielleicht …« Die Gedanken an ihn lösten in ihr ein noch größeres Durcheinander aus. Wie gern hätte sie ihn zur Rede gestellt, ihm verziehen oder ihn bis in alle Ewigkeiten verdammt. Egal was, bloß nicht mit jenen Zweifeln leben und mit dem eigenen Gewissen kämpfen müssen. Ihre Nase lief wieder. Maria drückte Evelyn ein sauberes Tuch in die Hand, das dieselben Initialen aufwies.
    »Ich fürchte, nein.« Das Unbeschwerte und Mädchenhafte verschwanden aus ihren Augen. Stattdessen
kehrte Traurigkeit ein, die weder zu dem jungen Gesicht noch zu dem schrillen Outfit passte. »Wir werden nicht verwandelt - wir werden geboren. Im Leib der Mutter wird der Fötus mit einem Fluch belegt, für ein Vergehen, das wir nie erfahren, für das wir aber zu büßen haben. Das Kind kommt oft mit Zähnen zur Welt und stirbt früh, viele erreichen nicht einmal ein junges Erwachsenenalter.« Sie hob die Schultern. »Solche wie ich, Adrián, Conrad … du … hatten ziemliches Glück, so lange das Menschenleben genießen zu dürfen. Im Mittelalter war es die Pest, die uns ins Grab holte, heutzutage - alles Mögliche. Es ist ein langsamer und qualvoller Tod.«
    Evelyn rieb mit dem Daumen über die Buchstaben. Kurz

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