Schattenseelen Roman
was ihn beherrschte, war der Wunsch nach Rache.
Um ein Haar hätte die Spitze des Stabes Conrad aufgespießt. Im letzten Augenblick wich er zur Seite, griff an und schleuderte seinen Widersacher zu Boden. Die Wucht des Hiebes ließ Adrián bis zur Wand rutschen. Von einem Regal polterten Keramiktöpfe mit Blumen auf ihn herab. Sofort sprang er auf die Beine und hob seine Waffe.
Conrad schmunzelte. Seine braunen Augen glänzten erheitert. »Ich habe nicht vor, mit Ihnen zu fechten, Rivas.«
Adrián wusste, was es bedeutete, Conrad herauszufordern, in dessen Händen sich selbst ein Waschlappen in eine tödliche Waffe verwandelte. Aber vielleicht
war das Glück auf seiner Seite. Wieder richtete er die Spitze des Stabes auf seinen Anführer.
»Du hast Hermann umgebracht.« Die Ruhe, die ihn ergriff, überraschte ihn selbst. Sogar seine Hände hatten aufgehört zu zittern und umklammerten entschlossen den Stahl.
»Immer noch Sie , wenn ich bitten darf.« Nahezu spielend riss Conrad ein Bambusrohr aus der Abtrennwand und drehte es wie einen Kampfstab herum. »Ich hatte keinen Grund, den alten Mann umzubringen. Mir hätten andere Methoden zur Verfügung gestanden, ihn zum Schweigen zu bringen.«
Sie umkreisten einander wie zwei Raubkatzen.
»Oh, mir fallen gleich viele Gründe ein! Es sollte eine Lehre für mich sein, damit ich mich nicht gegen dich auflehne. Wie oft hatten wir unterschiedliche Ansichten? Fürchtest du um deine Position? Wie viele unserer Leute würden mir folgen, wenn ich sie riefe?«
Conrad bewegte sich leichtfüßig und geschwind. Keine Diele knarrte unter seinen Sohlen. Er ähnelte einem Schatten, als wäre er da … und dann doch nicht.
»Dass ich nicht lache.« Sein Raunen bescherte Adrián eine Gänsehaut. »Für einen Anführer sind Sie zu hitzig, um Entscheidungen zu treffen. Ein kleiner Funke bringt Sie auf die Palme.«
»Von dort oben hat man eine wundervolle Aussicht.« Er holte aus, doch Conrad wehrte den Schlag mit Leichtigkeit ab.
»Das hier beweist das nur.«
Eine neue Welle von Wut brauste in Adrián auf. Er stürzte sich auf seinen Widersacher. »Was hast du mit Evelyn gemacht? Sag es mir!«
Schlag um Schlag parierte Conrad seine Hiebe. Adrián kam es so vor, als verhöhne der Mann ihn, spiele bloß mit ihm. Ein Schritt nach links, ein Schritt nach rechts in einem makaberen Tanz um den Tod, während Adrián in dem wütenden Ansturm schnell die Kraft verlor.
»Vergessen Sie Evelyn«, sagte Conrad ruhig und wehrte eine weitere Reihe von Stichen ab, ohne selbst seinen Gegner anzugreifen. »Sie wissen nichts über sie.«
»Ach ja? Du anscheinend umso mehr.«
»Durchaus.«
Adrián registrierte, wie Conrad in einer der Drehungen seine rechte Seite schutzlos öffnete. Gezielt stieß er mit der Spitze des Stabes zu, doch sein Widersacher schlug ihm die Waffe aus der Hand. Sie klimperte über den Boden. Adrián beugte sich hinab, und der Hieb des Bambusrohres streckte ihn nieder. Blitzschnell rollte er sich auf den Rücken, sah erneut das Bambusrohr auf sich zukommen und brachte seinen Körper mit einem Ruck ein Stück nach links. Er griff nach seiner Waffe und stach von unten auf Conrad ein. Sein Gegner machte einen Satz nach hinten. Adrián sprang auf die Beine und drängte den Mann weiter zurück. Die dumpfen Schläge von Stahl auf Holz rasselten durch den Raum.
»Was ist mit Evelyn?«, presste Adrián durch die zusammengebissenen Zähne. Wild schlug er um sich herum. Seine Waffe zertrümmerte Übertöpfe und schnitt durch die Orchideen-Oase. Weiße Blüten schwebten zu Boden.
»Sie ist nicht die, für die Sie sie halten«, erwiderte Conrad, der wieder in die Defensive ging. Adrián begriff, was für eine Taktik sein Anführer verfolgte: so lange warten, bis er sich einen Fehler leistete, um ihn dann mit einem gezielten Treffer auszuschalten. In diesem Zweikampf konnte er nicht gewinnen, dafür war er nicht gut genug.
Conrad schien den kurzen Anflug von Zweifel zu spüren und holte aus. Der Bambus traf Adrián in den Bauch, er stolperte zurück, fing sich aber wieder. Sein Widersacher grinste. »Sind Sie es noch nicht müde, sich von mir verprügeln zu lassen?«
»Ich gehe nicht, bis ich erfahren habe, wo Evelyn ist!«
Erneut startete er eine Reihe von Übergriffen. Geschickt wich Conrad ihnen aus. Adrián sammelte seine Kräfte, bündelte sie tief in seinem Innern und investierte alles in einen Sprung. Er flog über Conrads Kopf, landete hinter ihm auf dem Tresen und
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