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Schattenseelen Roman

Schattenseelen Roman

Titel: Schattenseelen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Krouk
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jemand ihr nahekam, krochen die Chimären empor und labten sich an ihrer Pein. Aber vielleicht war die Zeit gekommen, sie endgültig zu vertreiben. Seit Linnea ihr ihre Herkunft offenbart hatte, war sie dabei, ihr bisheriges Leben Stück für Stück neu durchzudenken, es mit anderen Augen zu sehen. Warum also nicht bis ans Ende gehen? Und endgültig einen Schlussstrich ziehen?
    Evelyn zog sich den Saum des T-Shirts über die Knie. Das Gras juckte an ihren Beinen. »Als ich erfahren habe, dass meine Eltern womöglich noch leben, habe ich alles versucht, um sie zu finden. Was ich mir nicht alles erträumt habe! Nach und nach bekam ich Einzelheiten meiner Vergangenheit mit.« Wenn sie sich zuhörte, kam es ihr vor, als wäre sie selbst nur ein unbeteiligter Beobachter. »Im Nachhinein weiß ich, Helga und Erich wollten mich nur beschützen. Aber
die Wahrheit ließ etwas in mir zerbrechen. Ich begann die Schule zu schwänzen, bin spät bis in die Nacht mit irgendwelchen Typen durch die Straßen gezogen und habe mich betrunken. Warum? Tja. Als wollte ich meinen leiblichen Eltern beweisen, dass sie Recht hatten, mich auf den Müll geworfen zu haben. Dort gehörte ich hin.«
    »Aber nein!«
    Mit einer Geste brachte Evelyn ihn zum Schweigen. Wenn er sie unterbrach, wusste sie nicht, ob sie erneut den Mut aufbringen konnte, ihre Geschichte zu beenden. »An dem Abend war ich mit meiner Clique in einer Bar. Ein Gläschen Tequila, noch eines - bald war ich sturzbetrunken. Irgendetwas ist dann passiert - ob eine Schlägerei oder nicht -, jedenfalls wollte ich weg. Meine Eltern anzurufen, wagte ich nicht. Also wählte ich die Nummer meiner Tante. Sie war nicht da, mein Onkel nahm ab. Er würde mich abholen, sagte er, ich solle mir keine Sorgen machen. Habe ich auch nicht getan, er war immer nett zu mir und half mir öfter mal aus der Patsche. Eine Stunde später saß ich in seinem Wagen. Auf dem Heimweg ist mir übel geworden, und wir mussten in einem Wald anhalten. Ich übergab mich, immer wieder. Was dann passiert ist, weiß ich nicht. Auf einmal lag ich auf dem Boden, mein Onkel stand über mir und machte seine Hose auf.« Ihre Kehle fühlte sich wund an, und sie war nicht imstande, auch nur ein weiteres Wort von sich zu geben. Ob sie jemals sein Gesicht vergessen könnte?

    Nein, natürlich nicht. Aber es jagte ihr keinen Schrecken mehr ein. Sie musste nur die Augen schließen, dann sah sie Adrián.
    »Er hat dich vergewaltigt!«
    »Oh nein. Ich war zu besoffen, um mich zu wehren oder Nein zu sagen. Ich glaube, in dem Moment habe ich gar nicht registriert, was er mit mir anstellte.«
    »Warum hast du das nicht deinen Eltern erzählt?«
    »Ich war nicht sonderlich vertrauenswürdig - zu oft hatte ich schon gelogen, um mich aus der einen oder anderen Affäre zu winden. Wer sollte mir da glauben?«
    »Und wie ist es zum Unfall gekommen?«
    »Auch das hat dir Gitta erzählt? Nun, bei diesem einen Vorfall im Wald blieb es nicht. Immer wieder machte er sich an mich ran, doch andererseits war er so nett. Ich suchte bei mir die Schuld, konnte es nicht länger ertragen. Als er mich das nächste Mal zu diesem Wald fuhr, riss ich am Lenkrad, und das Auto krachte in einen Baum.« Sie schaute zu den Kronen empor. In den Verzweigungen der Äste glaubte sie Grabeskreuze über sich zu sehen. Dutzende. »Ich war eingeklemmt. Er konnte sich befreien, wollte Hilfe holen. Danach verlor ich das Bewusstsein und bin erst im Krankenhaus zu mir gekommen. Dort habe ich erfahren, dass er am Unfallort gestorben war. Vermutlich waren seine Verletzungen ernster, als ich gedacht hatte. Ich habe ihn also umgebracht.«
    »Du hättest auch tot sein können!« Kilian machte
einen Ruck, als wolle er sie umarmen, aber Evelyn schob sich von ihm weg. Das Recht darauf, sie anzufassen, würde er nicht so schnell wieder erlangen. Vielleicht nie mehr.
    »Das wollte ich auch.«
    »Also hat deine Tante gelogen, als sie gesagt hat, du wärst ein Flittchen.«
    Evelyn seufzte. Wie leicht es ihm fiel, jemanden anzuklagen! »Sie hat nicht gelogen.«
    »Aber …«
    »Das ist kompliziert.« Sie konnte es ihm nicht erklären. Denn jetzt, im Nachhinein, begriff sie es nicht einmal selbst. Sie hasste sich selbst. Hasste ihren Körper. Und diejenigen, die ihn anfassten. Vor allem hoffte sie, ihr Onkel würde sich vor ihr ekeln, wenn sie es mit jedem Dahergelaufenen trieb, und sie in Ruhe lassen. Aber sie hatte sich geirrt.
    »Und nach dem Unfall bist du aus dem Dorf

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