Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspäher

Schattenspäher

Titel: Schattenspäher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Sturges
Vom Netzwerk:
vermögen. Das ist unsere Natur, aber es ist auch unsere Schwäche.«
    Was zum Henker sollte das bedeuten? Das konnte alles und nichts heißen. Und vor allem stand hier nicht das Geringste zu reitischen Funktionen. Was Timha brauchte, war eine Ableitungsregel zum Raumfalten, mit der die Gleichungen zum Energiespeicherungsproblem aufgelöst werden konnte. Was er brauchte, war eine Lösung für Vend-Ams Ungleichung, deren Ergebnis größer war als die zweite Potenz ihres Eingangsvektors. Die Kommentare enthielten keinen einzigen Formelspruch, keine Verkettungen entfesselter Bindungen, nichts, was auch nur ansatzweise als praktische Thaumaturgie bezeichnet werden konnte.
    Sie würden alle sterben. Und nichts würde dies verhindern können. Timha war grausam klar geworden, dass Hy Pezhos Können nicht nur das überstieg, was sie sich vorstellen konnten, sondern auch weit über das hinausging, was sie zu begreifen imstande waren. Und deshalb würden sie alle sterben. Die Bel Zheret stießen keine leeren Drohungen aus. Die Bel Zheret waren Mabs persönliche Geheimpolizei und ihr bedingungslos ergeben. Und insofern war ihnen das Ultimatum von Mab selbst gestellt worden.
    Unmöglich, dass das Projekt in der ihnen verbleibenden Zeit zum Abschluss gebracht werden konnte. Selbst wenn er Beozhos Kommentaren die letzten Geheimnisse des Universums entlockt hätte, wäre nicht mehr genug Zeit, diese für eine funktionierende Waffe zu verwerten.
    In diesem Moment setzte sich Meister Valmin, der in seinem Sessel schlief, abrupt auf. »Wie läuft's denn so, Reisender?«, fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte.
    »Nun, die Kommentare sind so schleierhaft und bedeutungslos wie eh und je.«
    Valmin lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Auf der Universität war es so, dass ich im Fall der Fälle stets Bestnoten in Geschichte herausschinden konnte, wenn ich Hausarbeiten über diese Bücher schrieb.«
    Timha sah ihn an. »Ach wirklich?«
    »O ja«, erwiderte Valmin mit einem reuevollen Lächeln. »Keiner meiner Professoren wollte zugeben, dass er das Ding auch nicht verstand, also ließen sie sich nie auf irgendwelchen Diskussionen darüber ein.«
    Timha lachte leise. Valmins Blick ging ins Leere.
    Nachdem sie ein paar Minuten geschwiegen hatten, erhob sich der Meister aus seinem Sessel und streckte sich ausgiebig. Dann trat er zu Timha und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter.
    »Alles wird gut, Reisender. Alles wird gut.«
    Doch nichts würde gut werden, und das wussten sie beide.
    Timha tat so, als lese er in einem Buch, das ein verrückter Annwni namens Prae Benesile verfasst hatte. Im Vergleich dazu erschienen ihm die Kommentare wie Gutenachtgeschichten. Keiner der Thaumaturgen in der Geheimen Stadt hatte je von diesem Benesile gehört, doch in Hy Pezhos Anmerkungen zur Einszorn wurden seine Bücher mehrfach erwähnt. Waren Beozhos Werke vieldeutig und sprunghaft, so konnten die von Prae Benesiles mit Fug und Recht als völlig zusammenhanglos bezeichnet werden. Die vorliegende Abhandlung zum Beispiel nannte sich Thaumaturgische Geschichte der chthonischen Religion.
    Was für ein Blödsinn.
    »Ich ziehe mich eine Weile zum Lesen auf mein Zimmer zurück«, sagte Timha.
    Valmin sah nicht mal auf und winkte ihm nur grunzend zu. Timha suchte sich ein paar Dokumente zusammen, packte auch noch einige unschuldige Bücher und Schriftrollen dazu und verließ das Studierzimmer. Er atmete tief durch.
    Timha brachte Bücher und Dokumente auf sein Zimmer und legte sie auf den Tisch. Er würde sie am Morgen lesen.
    Doch seine Verzweiflung ließ ihn keine Ruhe finden. Also nahm er eines der Bücher zur Hand - zufälligerweise war es das Werk von Prae Benesile - und schlug es an einer beliebigen Stelle auf. Die ersten Worte waren die Fortsetzung eines Satzes von der Vorseite: »... gebunden wie die chthonischen Götter in Prythme ...« Timha setzte sich auf und starrte die Zeilen verständnislos an. In diesem Moment klopfte es an der Tür.
    Es war Meister Valmin. »Reisender, es tut mir leid, aber ich erhielt soeben schreckliche Nachrichten. Es geht um Eure Mutter. Sie ist verstorben.«
    Weinend brach Timha zusammen. Doch er weinte nicht um seine Mutter. Ganz und gar nicht.
    Am nächsten Morgen stand Timha mit seiner gepackten Tasche auf der Schwelle zu seinem Zimmer und sah sich noch einmal um. Die Holzpuppe, die seine Schwester ihm zu seinem zehnten Geburtstag geschnitzt hatte, lag noch auf dem Nachttisch. Daneben stand die antike Uhr,

Weitere Kostenlose Bücher