Schattenspäher
Götzen gehuldigt und jeder Sucht nachgegeben. Sie hatte sich verloren in der Musik, im Tanz, in der Dichtung, beim Hahnenkampf und in der Kunst der Mestina. Alle Freuden, die es gab, hatte sie gekostet: Wein, Männer, Frauen, Kinder, Orgien. Naschwerk, Fuchsjagd, Krocket, Nähen, Poesie, Elemental-Bildhauerei. Jede Ablenkung hatte ihren kleinen wohltuenden Beitrag geleistet wie ein Stück Kohle, das eine Weile heiß brannte, dann jedoch abkühlte und schließlich nur mehr den Geschmack verbrannter Asche in ihrem Mund zurückließ.
Hundert Jahre hatte sie versucht, ein Mann zu sein. Sie hatte ein Eremitendasein geführt, hatte ihr Dasein als Bauernmädchen gefristet und war zum Fuchs für ihre eigene Jagdgesellschaft geworden. Sie war alles und jeder gewesen, hatte alles und jedes getan, und doch war es nie genug.
Um ihre Langeweile zu stillen, hatte sie in immer größeren Dimensionen handeln müssen. Vor Jahrtausenden schon hatte sie die Kontrolle über das Unseelie-Territorium an sich gerissen und den gesamten Norden der Umfochtenen Lande erobert. Sie hatte ihren Einfluss auf ganze Welten ausgedehnt, und sogar eine auf immer zerstört.
Die Einzige, die ihr immer im Weg gestanden hatte, war Regina Titania, und Mab liebte und hasste sie gleichermaßen dafür. Ein kleiner Teil von ihr hoffte, dass die Seelie-Königin ihren Widerstand niemals aufgeben möge, denn dann hätte Mab alles erreicht, das Spiel wäre zu Ende. Und was dann?
Doch Titania forderte sie heraus. Die uralte Rivalität war mithin ein zweischneidiges Schwert. Was nützte einem der größte Wettstreit, wenn man nicht als Sieger aus ihm hervorging?
Gegenwärtig steuerte alles auf den ultimativen Höhepunkt zu. Ihre neue Metropole war errichtet. Die Einszorn-Waffe wurde in der Geheimen Stadt gebaut. In Estacana erwartete sie ein ganz besonderes Mädchen, wenngleich das Mädchen selbst noch nichts davon wusste. Die Sterne standen günstig. Die Zeit war gekommen. Das letzte Gefecht in diesem ewigen Krieg warf seine Schatten voraus.
Hy Pezho, der Schwarzkünstler, hatte ihr die ultimative Waffe an die Hand gegeben, um diesen uralten Konflikt auf immer für sich zu entscheiden. Er war ein Genie gewesen, ein begnadeter Geist, der Geheimnisse aufgespürt hatte, die jenseits jeden Verstandes lagen. Er hatte ein Fenster aufgestoßen zu einem Ort, den selbst Mab noch nie erblickt hatte. Und nicht zuletzt deshalb hatte sie ihn töten müssen. Er hatte das Kräftegleichgewicht in Gefahr gebracht. Nun gab es keinen Grund mehr für Mab, ihre eigene Herausforderung nicht anzunehmen, war sie doch jetzt praktisch gezwungen, gegen ihre uralte Widersacherin vorzugehen. Endlich war die alles entscheidende Schlacht in greifbare Nähe gerückt. Hy Pezho hatte Mab, ohne es zu wissen, in Zugzwang gebracht.
Der Schwarzkünstler hatte versucht, sie zu hintergehen, wie alle ambitionierten Männer es taten. Er hatte geglaubt, sein Charme und politisches Geschick seien ebenso überdurchschnittlich wie sein Genie - ein Trugschluss. Und aus diesem Grunde war es nötig geworden, ihn an einen Ort der ewigen Qualen zu verbannen: in den Bauch der Kreatur fel-ala. Hy Pezhos eigene Schöpfung. Wenn das nicht poetisch war ...
Wegen seines offensichtlichen Verrats hatte sie sich seiner entledigt, doch dass er ungewollt ihren Status quo in Frage gestellt hatte, machte seine Bestrafung für sie zu einem besonderen Genuss.
Nun denn, der Krieg war unvermeidlich, und entweder sie oder Titania würden als Triumphatoren daraus hervorgehen. Natürlich bestand eine kleine Chance, dass Titania obsiegte. Die Steinkönigin, die Seelie-Hexe, war mindestens genauso mächtig wie Mab und mindestens genauso alt. Es würde nicht einfach werden, sie zu überraschen. Mit den Jahrhunderten hatte auch Titania gelernt, die Sterne zu interpretieren wie auch den Aufstieg von Nationen und das Glitzern im Auge eines Mannes.
All das steuerte nun unaufhaltsam auf eine Entscheidung zu. Und es war alles Hy Pezhos Schuld. Oh, wie sie ihn dafür liebte und hasste!
Und wenn schon sonst nichts, dann würde es zumindest nicht langweilig werden.
Unangekündigt und ohne anzuklopfen schwebten die drei Bel Zheret in Mabs private Gemächer. Eines der Privilegien, die sie ihnen zugestand, da die Bel Zheret schon von Weitem zu spüren vermochten, ob die Kaiserin bereit war, sie zu empfangen, oder nicht. Sie waren mittels der schwarzkünstlerischen Reflexion der Empathie an Mab gebunden, und sie konnte die Bel Zheret mit
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