Schattenspäher
konnte nicht anders, sie griff hinaus und ließ den Faden zwischen sich und Faella sich entfalten. In der nächsten Sekunde war er da, in perfektem Weiß. Sela war verblüfft. Nie zuvor hatte sie einen weißen Faden gesehen. Sie wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Als sie das Phänomen eingehender erspürte, stellte sie fest, dass der Faden ein Strang war, der aus mehreren dünnen Schnüren bestand. Farbige Fäden, die umeinander verschlungen waren. Allein wenn man das Ganze aus der Ferne betrachtete, wirkte es wie ein solider weißer Faden.
Wer war diese Frau?
Ihre Emotionen übertrugen sich auf Sela, und die konnte fast nicht glauben, was sie erspürte. Diese hochmütige Frau, dieses naive kleine Ding glaubte jedes Wort, das es von sich gab. Faella hielt sich tatsächlich für großartig, und das mit einer Überzeugung, die Sela erstaunte. Nein, diese junge Frau war alles andere als unsicher, sondern über die Maßen selbstbewusst.
Auf ihrem Weg durch den Gang blieb Faella stehen und sah Sela an. Ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Nicht das, was du erwartest hast?«, fragte sie. Peinlich berührt wandte Sela den Blick ab.
Silberdun sah zu Faella, dann zu Sela und krümmte sich innerlich. Ganz offensichtlich fühlte er sich irgendwie schuldig. Gut.
Dann wurde Sela klar, dass sie aufhören musste, sich selbst zu bemitleiden. Immerhin hatten sie hier eine wichtige Arbeit zu erledigen.
»Lord Silberdun hat mir einiges hierzu erklärt«, sagte Faella, »doch er überließ es Euch, Meister Falores, mir die technischen Details auseinanderzusetzen.«
»Nennt mich ruhig Eisenfuß, Fräulein.«
»Wie Ihr wünscht.«
Eisenfuß begann, Faella seinen Plan zu erklären. Sie stellte ein paar Fragen, drängte Eisenfuß, die eher esoterischen Aspekte des Projekts in Worte zu fassen, mit denen sie etwas anfangen konnte.
»Also ich muss sagen«, meinte sie schließlich stirnrunzelnd, »ich bin nicht sicher, ob ich das alles hier wirklich begreife.«
Sela biss sich auf die Lippen. »Vielleicht kann ich ja dabei helfen?«
Faella sah sie an und lächelte wieder ihr verlockendes Lächeln. »Könnt Ihr?«
Sela ging zum Altar und ließ Fäden zwischen sich, Eisenfuß und Faella erstehen. Es würde schwierig werden, die beiden miteinander zu verbinden, doch nicht unmöglich.
Doch bevor sie auch nur Empathie kanalisieren konnte, um die beiden miteinander zu verknüpfen, griff Faella in den Prozess ein und erledigte dies kurzerhand selbst. Sela musste sich zwingen, ihre Abneigung zu verbergen, wusste jedoch, dass dieses Gefühl durch ihren Faden hinausströmte und dass Faella es empfing.
Bilder, Gedanken, Worte, Beschwörungen flossen ungehindert zwischen Faella und Eisenfuß hin und her. Es war ermüdend, richtige Gedanken im Gegensatz zu Emotionen zu kanalisieren, doch jede neue Kanalisierung, die Sela begann, wurde von Faella fortgeführt. Innerhalb weniger Minuten hatte Eisenfuß alles mit ihr geteilt, was sie wissen musste.
»Danke sehr, Sela«, sagte Faella. Und sie meinte es so. Sela entfernte das Band zwischen ihnen. Sie fühlte sich dumm und minderwertig. Sie wollte Faella hassen, doch sie konnte es nicht mehr. Faella war besser als sie. Silberduns Liebe für diese Frau war mehr als gerechtfertigt.
»Dann lasst uns jetzt beginnen«, sagte Eisenfuß. »Um es noch einmal deutlich zu sagen, ich hab keine Ahnung, was wir auf der anderen Seite der Faltung vorfinden werden. Es kann durchaus sein, dass wir alle dabei draufgehen. Doch wenn das ganze re auf der anderen Seite ist, dann gibt's dafür auch einen guten Grund, und dann muss es dort auch eine Art Behältnis geben, das es beherbergt. Was bedeutet, dass andere schon vor uns dort waren.«
Silberdun sah Sela an. »Ich weiß, du willst eigentlich nicht mehr auf irgendwelche Missionen gehen, aber wir wissen nicht, was uns auf der anderen Seite erwartet. Wir brauchen dich.«
Selas Herz machte einen Satz. Jedem anderen hätte sie diese Bitte abgeschlagen. »Natürlich komme ich mit«, sagte sie.
»Dann wollen wir mal loslegen«, sagte Silberdun.
»Ja, bitte«, drängte Eisenfuß. »Ich hab nämlich den dumpfen Verdacht, dass irgendein Richter gerade einen Räumungsbefehl gegen uns erwirkt, um uns hier rauszuschaffen. Also lasst uns endlich beginnen.«
»Du weißt, was du zu tun hast?«, fragte Eisenfuß.
»Ja«, erwiderte Faella.
Und dann verschwand, ohne Vorwarnung, die Welt.
Sela ist endlich glücklich. Sie hat Milla.
Sie schlafen im selben
Weitere Kostenlose Bücher