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Schattenspäher

Schattenspäher

Titel: Schattenspäher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Sturges
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und legte die Füße auf den Schreibtisch des Ratsvorsitzenden.
    Faella stand auf der Bühne, allein, und bot einem größtenteils leeren Haus die letzte Figur ihres Mestina »Windung« dar. Die Truppe hatte protestiert gegen ihren Wunsch, es gleich zu Beginn des Programms zu zeigen, und so war das Mestina zum Bodensatz der Aufführung verkommen, zum Schlussakt kurz vor Mitternacht, wo die meisten Stammkunden schon auf dem Weg in die Tavernen oder in ihre Betten waren.
    »Windung« war ein subtiles Stück und nicht das, wofür die Bittersüßen Erstaunlichen Mestina eigentlich berühmt waren. Das Publikum erwartete ein großes Spektakel: wilde Schlachten, höfische Intrigen, derbe Zoten. Davon wurden schließlich das Theater, die Schauspieler und die horrenden Gebühren an die Gilde der Blendwerker bezahlt.
    Doch »Windung« lag ihr am Herzen, und sie war wild entschlossen, es immer wieder aufzuführen. Auch hatte sie sich aus den anderen Darbietungen fast völlig zurückgezogen, sehr zum Verdruss ihres Publikums. Das Waffengeklirr, die ganzen Adligen und halb nackten Körper, das alles war ja schön und gut, doch mit der Zeit konnte Faella in dem Ganzen nicht mehr sehen als das, was sie waren: kurzweilige Illusionen, flüchtige Fantasien zum Zeitvertreib. Doch »Windung« war mehr als das, obwohl sie nicht genau sagen konnte, warum.
    Die unzähligen roten, goldenen und orangefarbenen Strähnen wirbelten und drehten sich in einem ausgelassenen Ballett aus Verlangen und Empfindungen, bis Faella sie zusammenwob zu einer strahlend hellen Flechte aus purem Gefühl, die sich um ihren Körper schlang, wo sie in einem Funkenregen explodierte.
    Vereinzelter Applaus wurde laut. Sie verbeugte sich und verließ schwitzend die Bühne. Es war Zeit zu gehen.
    Hinter der Bühne schminkten sich die anderen Mestina schon ab und zogen sich um. Viele saßen bereits bei einer Flasche billigem Wein beisammen und lachten. Faella hatte sich ihnen gegenüber nie fremder gefühlt. Es genügte ihr nicht mehr. Nichts genügte ihr jemals.
    Sie ging ins Theaterbüro und sah sich die von ihr vorbereiteten Schriftstücke an: die Übereignungsurkunde, Kontoauszüge, Anweisungen. Sie würde die Bittersüßen Erstaunlichen Mestina dem Ensemble überlassen. Es würde das Theater als eigenverantwortliche Eigentümergemeinschaft leiten. Es würde ein Desaster werden, aber sie würde es nicht mehr mitbekommen. Sie würde dann längst über alle Berge sein.
    In den letzten Monaten waren ihre Kräfte noch gewachsen. Sie hatte festgestellt, dass sie mit Hilfe von Elemente und Bewegung Blendwerk von erstaunlicher Komplexität erschaffen konnte. Und dass sie Dinge zu vollbringen imstande war, die man eigentlich nicht mit irgendeiner Gabe erklären konnte. Tatsächlich war sie sich nicht einmal sicher, was diese Gaben genau waren. Sie hatte ja bisher nur mit Blendwerk zu tun gehabt und nie darüber nachgedacht, dass man dabei irgendwelche rohen Elemente durch ein Ding »kanalisierte«. Da waren nur der Gedanke, der Wunsch und die Tat. Sie hatte immer vermutet, es nicht zu verstehen, weil sie in diesen Künsten nicht ausgebildet worden war.
    Doch als ihre Fähigkeiten mächtiger wurden, begann sie darüber zu lesen, schlich sich heimlich in die Universitätsbibliothek und begann ihr beschwerliches Studium der schriftlichen Quellen. Sie war keine Gelehrte, und nur wenig von dem, was sie las, verstand sie auch, zumal nichts davon ein wenig Licht auf ihr seltsames Talent warf. Tatsächlich schien sogar alles darauf hinzudeuten, dass das, was sie tat, eigentlich unmöglich war.
    Sie war sogar so weit gegangen, einen Professor der Naturphilosophie zu verführen, um ihn zu dem Thema auszufragen. Doch der war mehr an ihren anderen Talenten interessiert gewesen und daher wenig hilfreich.
    Doch mit jedem neuen Tag, der ins Land ging, war das Gefühl gewachsen, dass sie ihr Leben bei den Bittersüßen Erstaunlichen Mestina verschwendete. Und dieses andere Gefühl, dass sie zu Höherem bestimmt war, verließ sie nie. Manchmal träumte sie sogar davon, dass es ihr Schicksal war, die ganzen Faelande zu heilen. So wie sie Riegers Messerwunde geheilt hatte.
    Doch was immer die Zukunft ihr auch verhieß, ein mittelmäßiges Mestina-Theater in Estacana zu führen, das konnte es nicht sein. Sie hatte bereits einen Fahrschein für die Postkutsche nach Smaragdstadt in der Tasche. Am nächsten Morgen sollte es losgehen. Smaragdstadt war das Herz des Seelie-Königreichs, wo jede

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