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Schattenspäher

Schattenspäher

Titel: Schattenspäher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Sturges
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...
    »Sela!«, brüllt er. »Sie ist eine der Spione! Milla ist eine Auftragsmörderin der Unwirklichen!«
    »Nein!«, schreit Sela. Sie weicht zurück, fort von Milla.
    Milla und Sela sind zu Tode erschrocken. Milla und Sela wollen nicht hier sein.
    Lord Tanen trägt etwas bei sich. Etwas, das schimmert. Milla und Sela haben Angst davor.
    Nein, Milla hat Angst davor, Sela will es haben. Sela streckt ihren Arm danach aus.
    Lord Tanen legt Sela das Messer in die Hand, und der Faden zwischen ihr und Milla verfärbt sich schwarz, schwarz, schwarz.
    »Du weißt, was du tun musst«, sagt Tanen.
    Milla rutscht ein Stück zurück. Sela kann ihre Bestürzung, ihre Todesangst spüren. Todesangst vor Sela. Jetzt weiß Sela, wer von ihnen beiden wer ist.
    Sela nähert sich Milla und tötet sie mit zitternder Hand. Es ist so einfach. Diejenigen, die Lord Tanen ihr zum Üben gebracht hat, hatten viel mehr Kampfgeist. Der Faden verschwindet nicht sofort, nicht, als die Klinge durch das Fleisch schneidet, sondern langsam, fast widerstrebend.
    »Glückwunsch«, sagt Lord Tanen. »Mit dem heutigen Tag hast du deine Ausbildung beendet.«
    Sela wendet sich zu Lord Tanen um. Nass liegt das Messer in ihrer Hand. Das Blut eines Mädchens sieht aus wie jedermanns Blut. Ein wirkliches Mädchen? Ein unwirkliches Mädchen? Sela zieht die Schneide ihres Messers leicht über ihr eigenes Handgelenk. Das austretende Blut sieht nicht anders aus. Kein Unterschied.
    »Das ist zu viel für sie«, ertönt plötzlich eine Stimme hinter Lord Tanen. Es ist eine der Vetteln. Sela ist sich nicht sicher, welche. »Damit seid Ihr zu weit gegangen, und das haben wir Euch auch gesagt.«
    »Ruhe!«, schreit Lord Tanen in Richtung der Vettel. »Es geht ihr gut. Sie ist stärker als jede der anderen.«
    Zu weit. Sela lässt das Messer fallen. Es ist nun nicht mehr als ein bedeutungsloser Gegenstand, eine Unregelmäßigkeit in einem Raum aus Linien und Winkeln. Ein Gewicht, nicht mehr. Noch vor einer Minute hatte sie fast etwas gesehen, etwas jenseits all dieser Bedeutungslosigkeit. Sie hat es in ihrem Griff, doch sie weiß, wenn sie noch einmal dorthin schaut, wird sie aufhören zu existieren.
    »Und jetzt komm«, sagt Lord Tanen. »Es wird Zeit, dass wir uns mal ein wenig länger unterhalten.«
    Selas Körper ist, das erkennt sie nun, unwirklich. Auch er ist nur Raum und Linien und Winkel. Summende Maschinen, empfindungslos, die zusammenwirken in der Illusion des Seins. Da kommt es wieder, das Ding, das sie aus einem anderen Blickwinkel betrachtet hat. Das Ding, das sie verzehren wird.
    »Was ist es?«, fragt Lord Tanen und schaut ihr in die Augen. Ein Faden manifestiert sich. Anders als der erste. Sela sieht ihn und kennt ihn. Weiß, wer und was er ist, weiß, was er will und warum, aber es ist viel zu viel, und das Ding, das sie essen will, greift hinauf, um sie in Gänze zu verschlingen, und so zeigt sie es stattdessen Lord Tanen.
    Lord Tanen macht ein komisches Geräusch. Nicht nur komisch, sondern geradezu urkomisch. Fast muss Sela kichern. Alles ist so groß und schrecklich, und das Ding, das sie essen will, verschlingt nun Lord Tanen, und seine einzige Antwort darauf ist dieses lächerliche kleine Geräusch.
    Jemand schreit. Es ist eine der Vetteln. Sela zeigt auch der Vettel dieses Ding. Warum auch nicht? Früher oder später wird es alles verschlingen, das weiß Sela. Alles eine Frage der Zeit. Wer weiß, vielleicht hebt es sich Sela ja für den Schluss auf.
    Noch mehr Geschrei. Jemand rennt. Irgendwo knallt es. Sela schließt die Augen, sie will nichts davon sehen, nein, danke.
    Und so geht es eine Weile weiter. Stunden. Sela wartet darauf, dass das Ding zurückkommt und sich ihr zeigt, doch stattdessen stößt sie etwas hart von hinten an, und sie beißt sich auf die Zunge.
    »Legt ihr das verfluchte Ding an, aber sofort«, ertönt eine eingeschüchterte Stimme.
    Jemand schiebt ihr etwas übers Handgelenk. Ein Armband? Ein Geschenk? Der Reif wird ihr über den Ellbogen auf den Oberarm geschoben. Das Ding, das sie allen gezeigt hat, verliert seine Zähne, gähnt und geht schlafen.
    Aber was ist dieses Ding? Sela ist sich sicher, dass es groß und gefährlich war, aber kann sich nicht mehr genau daran erinnern.
    Wieder die Stimme. »Wir haben sie, Lord Everess«, sagt sie. »Sie ist sicher.«
    Sicher.
    Sela sah Licht. Sie war umgeben von Licht, Energie, Hitze. Sie wurde bei lebendigem Leib verbrannt. Doch sie sah es nicht, erlebte es vielmehr auf einem

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