Schattenspäher
Aba-E-Tempel in Sylvan kennen gelernt. Vestar war ohne Frage ein heiliger Mann, der seinen spirituellen Frieden jenseits allen Wissens gefunden hatte. Ihm und seinen Mönchen zu begegnen hatte Silberduns Sehnsucht nach Höherem wiederbelebt. Eine einst von seiner Mutter geweckte Sehnsucht, die ihn ein ganzes Leben lang umgetrieben hatte. Er hatte immer an Aba glauben wollen, wie es seiner Mutter so problemlos möglich gewesen war, doch es war ihm nie wirklich gelungen, so sehr er sich auch bemühte.
Und so hatte er sich vom Tempel Aba-Nylae als Novize aufnehmen lassen in der Hoffnung, dass ein asketisches Leben bestehend aus Beten und Dienen den alles entscheidenden Funken in seiner Seele schlagen würde. Doch schon bald wurde offensichtlich, dass diese Seele in keinster Weise Feuer fangen würde. Das war jedem klar, auch Silberdun, wenngleich er es sich nur zögerlich eingestanden hatte. Und Prior Tebrit war nichts weiter als ein arroganter Schwachkopf, Punkt, aus. Wenn sonst nichts, so konnte sich Silberdun zumindest daran ergötzen, Tebrits selbstgefällige Fratze nie wiedersehen zu müssen.
Und da war er nun, wieder mal einen Plan verfolgend, den jemand anders für ihn ausgeheckt hatte. Und wie schon zuvor, hatte er auch jetzt nicht den blassesten Dunst, worauf er sich da eingelassen hatte.
Silberdun lehnte sich hinaus in den Wind auf dem Inlandmeer und versuchte ihn mittels seiner schwachen Gabe der Bewegung zu packen. Das re einzusetzen tat gut. Es erfüllte ihn mit einer Art Wärme. Nicht körperlich, eher spirituell. Er hatte einst versucht, dieses Gefühl dem Menschen Satterly zu vermitteln, doch das war, als wollte man einem Blinden die Farben erklären. Das re war einfach re. Es ließ sich nicht beschreiben.
Mit der Gabe der Bewegung erlangte er in recht unfachmännischer Weise Kontrolle über den Wind, packte ihn fest mit seinem Geist und stieß ihn an. Es gab keine Bindung, keinen Spruch, nichts Formales bei diesem Akt; er unterwarf die Naturgewalt allein mit Hilfe seines Willens, trieb den Wind in die Segel hinein und wartete darauf, dass das Schiff nun merklich schneller Richtung Insel voransegelte.
Doch nichts dergleichen geschah.
Er versuchte es noch einmal, konzentrierte sich mit allem, was ihm zur Verfügung stand, auf diese Aufgabe. In einer ungeheuren Kraftanstrengung warf er das, was ihm wie der gesamte Luftvorrat dieser Welt erschien, in die Segel.
Das Schiff vollführte einen kaum merklichen Vorwärtsruck, doch womöglich bildete er sich das auch nur ein.
Silberdun runzelte die Stirn und blickte hinunter aufs Deck. Dort stand der Kapitän, der ihn schmunzelnd beobachtete.
»Na, wie läuft's denn so?« Jetzt lachte Ilian.
»Ihr verdammter Hurensohn!«, brüllte Silberdun zurück. »Schätze, der Wind will nicht so wie ich!«
Ilian kam zu ihm, sein schadenfrohes Gelächter wich einem freundlichen Grinsen. »Ihr Burschen von der Universität seid doch alle gleich.« Er deutete schmunzelnd hinauf in die Takelage. »Ihr seht das Segel, groß und weiß, und denkt, ihr müsstet nur ein bisschen den Wind hin und her schubsen und das war's dann.«
»Und ich nehme an, das war irgendwie der falsche Weg, hab ich Recht?«, fragte Silberdun.
»Na ja, es war der naheliegendste Weg«, sagte Ilian. »Aber im Ernst: Man kann nicht einfach mit dem Wind fingerhakeln, mein Sohn. Der Wind steht mit vielem anderen in Verbindung: mit den Wellen, der Sonne, dem Mond. An Land könnt Ihr mit einem Schnippen vielleicht ein laues Lüftchen erzeugen, aber hier auf hoher See ist das pure Zeitverschwendung.«
»Und was soll ich Eurer Meinung nach stattdessen tun?«
»Setzt Euch einfach auf Euren Arsch und wartet und lasst den Wind seine Arbeit tun.« Kichernd ging Ilian davon.
Die Sonne küsste den Horizont; ihr goldenes Licht ergoss sich ins Meer und breitete sich aus über die Wellen, als die Treibholz am leeren Holzsteg der Insel Weißenberg anlegte. Die Insel war kaum mehr als ein großer buckeliger Granitfladen, der sich aus dem Meer erhob. Hier und da standen ein paar mickrige Pinien, die törichterweise beschlossen hatten, hier auszuharren. Auf dem höchsten Punkt des Eilands schob sich ein wenig kunstvoll errichteter Steinhaufen in den Himmel, der aus der Ferne eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Burg aufwies. Die in den Stein gehauenen Stufen eines steilen Pfades führten an der felsigen Hangseite bis hinauf zu Kastell Weißenberg.
Ilian sprang auf den Anlegesteg und fing das Schiffstau auf, das ihm
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