Schattenspäher
zusammenschnürte.
Erst jetzt bemerkte er, dass er kurz vor dem Verhungern war. Seitdem er gestern Morgen vor dem Ablegen eine Schüssel mit Fischsuppe am Dock heruntergewürgt hatte, hatte er nichts mehr gegessen.
Als er sich die Stiefel schnürte, hatte das Pochen in seinem Kopf schon etwas nachgelassen.
»Dann mal auf zum Training«, sagte er. »Auf dass ich endlich zu einem richtigen Spion werde ...«
Die Tür seines Zimmers war verriegelt. Er rüttelte und zerrte an der Klinke, doch die Tür war schwer, das Schloss solide. Sie bewegte sich kein Stück im Rahmen.
Er klopfte und rief. »Ilian? Würde es Euch was ausmachen, den neuen Lehrling rauszulassen und ihn angemessen zu verköstigen?« Keine Antwort. Er beugte sich hinab und schaute durchs Schlüsselloch nach draußen. Es war lediglich die raue Steinoberfläche der gegenüberliegenden Wand zu erkennen.
Er klopfte lauter gegen die Tür. »Jedron? Ist das schon wieder eine Prüfung? ›Wie man ohne Frühstück überlebt‹?« Sein lautes Geschrei tat seinem Kopf weh.
Das Fenster im Raum war klein. Zu klein, um hinauszusteigen, doch es ließ sich mittels des winzigen Messinghebels wenigstens öffnen. Silberdun steckte den Kopf hinaus. Die salzige Meeresbrise war belebend.
Er sah nach unten und erkannte, dass dieses Turmzimmer genau auf die Rückseite des Burghofs hinausschaute. Die Außenwände wurden praktisch von der aufgewühlten Brandung umspült.
»Bei Auberons Eiern!«, entfuhr es Silberdun. Er setzte sich hart auf die Matratze. Das hier war nichts weiter als eine andere Zelle.
Wenigstens stand in dieser zur Abwechslung mal ein bequemes Bett.
Perrin liegt zusammengerollt da, sein Kopf ruht auf dem Schoß seiner Mutter; ihre Umarmung schützt ihn vor der plötzlich einsetzenden Abendkälte. Sie sitzen auf der Veranda, von der man die grüne Südseite des Anwesens überblickt. Hinter der Allee mit den Pfirsichbäumen steht eine Gruppe Dörfler, welche gerade die niedrige Mauer ausbessert, die das Anwesen umgibt. Perrin mag es, auf der Krone der Mauer zu laufen; man kann auf ihr in voller Länge entlangspazieren, und einmal hatte er es sogar geschafft, das gigantische Viereck zurückzulegen, ohne herunterzufallen.
Mutter lehnt sich zu ihm herunter, küsst ihn auf den Scheitel und atmet tief ein. »Dein Haar riecht wie Sonnenschein«, sagt sie.
Iana tritt herbei, um mit Mutter zu sprechen. Iana ist eine der Dienerinnen und immer nett zu Perrin. »Lady«, sagt sie mit einer Verbeugung. »Auf einen Moment, wenn ich Euch bitten darf.« Sie nickt bedeutungsvoll in Richtung Perrin.
»Das ist schon in Ordnung«, sagt Mutter. »Sprich nur.«
Iana scheint anderer Meinung zu sein, doch sie fährt trotzdem fort, und plötzlich benimmt sie sich gar nicht mehr wie eine Dienerin. »Ich habe beschlossen, dass Ihr morgen Früh die Gebete sprechen werdet, also macht Euch bereit.«
»Oh«, sagt Mutter. Perrin dreht sich in ihrem Arm herum und schaut sie an. Iana hat gerade auf eine Weise mit Mutter gesprochen, als wäre sie die Herrin und Mutter die Dienerin. Aber Mutter lächelt. »Ich fühle mich geehrt, Mutter.«
Warum nennt Mutter Iana Mutter? Perrin ist verwirrt.
»Ich vertraue auf Euer Urteil, Tochter«, sagt Iana. »Wenn Ihr glaubt, der Junge sei schon bereit ...«
»Ja, das glaube ich.«
»Er wird vor seinem zehnten Geburtstag aber nicht teilnehmen dürfen.«
»Bis dahin sind es ja nur noch zwei Jahre.«
Iana lächelt. »Es ist gut für ihn, im Lichte Abas erzogen zu werden. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein.«
»Ja, Mutter.«
Iana verbeugt sich abermals, und dann ist sie wieder ganz die Dienerin.
Als sie fort ist, fragt Perrin: »Ist Iana wirklich deine Mutter?«
»Nein, du kleines Dummchen. Deine Großmutter ist meine Mutter. Iana ist meine Mentorin in der Kirche.«
»Aba«, sagt Perrin. Er weiß ein wenig über Aba. »Aba ist ein Gott.«
»Aba ist der Gott der Götter«, sagt Mutter. »Der erste König der Könige.«
Wieder ist Perrin verdutzt. »Ich dachte, Uvenchaud war der erste König.«
Mutter lacht. »Uvenchaud war der erste Faekönig, ja«, sagt sie, »aber er war kein Gott.«
»Wir stammen von Uvenchaud ab.«
»Ja, das betont dein Vater gern. Aber das liegt schon tausende von Jahren zurück. Und ich denke, dieser Tage stammt wohl die Mehrheit der Fae von Uvenchaud ab.«
Perrin denkt darüber nach. Dann deutet er hinunter zu den Dorfbewohnern, welche die Mauer reparieren. »Mutter, sind denn diese Männer auch Nachfahren
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