Schattenspäher
Schiffsgeländer fester.
Die Reling bestand aus weichem poliertem Holz, das in der Sonne schimmerte und von glänzenden Messingstützen gehalten wurde. Silberdun umklammerte die Griffstange, als wäre sie das einzig beständige Ding im ganzen Universum. Doch je stärker er sich festhielt, umso stärker empfand er auch das Rollen des Schiffs unter den Planken. Und wenn er auch nur einen Moment zu lange nach unten blickte, kam ihm wieder die Galle hoch. Also folgte er dem Rat, den man ihm gegeben hatte, und heftete seinen Blick fest auf die Insel, der sie entgegensegelten. Das half. Ein bisschen.
»Wie ich sehe, genießt Ihr Eure Reise in vollen Zügen«, bemerkte eine sanfte Stimme in seinem Rücken. Kapitän Ilian kam auf Silberdun zu, wobei ihm das schwankende Deck nicht die geringsten Probleme bereitete. Er war ein Mann mittleren Alters, wenngleich es schwerfiel, sein Alter überhaupt zu schätzen. Irgendwo zwischen vierzig und sechzig, vermutete Silberdun. Ein adretter, breitschultriger Zeitgenosse mit klaren grünen Augen, die an die Farbe des aufgewühlten Meeres erinnerten.
»Fürwahr ein großer Spaß«, erwiderte Silberdun bissig.
Ilian klopfte ihm auf die Schulter. »Das nenn ich die richtige Einstellung«, sagte er und sah dann hinauf in den Himmel. »Ist 'n langer Weg bis nach Weißenberg, aber keine schlechte Überfahrt. Werden wohl vor Anbruch der Nacht dort vor Anker gehen.«
»Bei dem vielen Wind hatte ich eigentlich gehofft, wir wären schon viel früher dort«, meinte Silberdun.
»Viel Wind, ja, aber leider aus der falschen Richtung.«
Einer der Seeleute strich an Silberdun vorbei, zog ruckartig an einem der Fallen und zurrte es dann wieder fest. Das Zusammenspiel von Takelage und Tauwerk war für Silberdun fast schon eine Zauberkunst für sich, und ganz gewiss eine, die er niemals erlernen würde.
»Mal angenommen«, sagte Silberdun, »ich könnte den Wind dazu bewegen, aus der anderen Richtung zu blasen? Würde uns das schneller voranbringen?«
»Aye«, sagte der Kapitän mit einem sonderbaren Grinsen auf dem Gesicht. »Das will ich meinen.«
Silberdun trat zum Heck und sah zu den Segeln hinauf. Davon gab es genau zwei, groß und aufgebläht und gen Steuerbord ausgerichtet, um das Schiff gegen den Wind zu segeln.
Trotz seiner Übelkeit war Silberdun ausgeruht und von Energie und Essenz erfüllt. Auch wäre es schön, sich endlich mal wieder nützlich zu machen. Viel zu lange, so wurde ihm klar, hatte er das Leben einfach nur so hingenommen. Nach dem langen Jahr seines Militärdienstes war er glücklich gewesen, sich endlich am Hofe der Königin dem Müßiggang hingeben zu können, um jeden Rock herumzuscharwenzeln, der seinen Weg kreuzte, und seine Pflichten im Senat aufs Schändlichste zu vernachlässigen. Ja, damals hatte er nicht mehr vom Leben gewollt, als das, was das Leben ihm bereit gewesen war zu geben.
Dummerweise hatte Silberduns Onkel, der während der Abwesenheit seines Neffen die Güter Friedbrück und Connach verwaltete, beschlossen, selbst Lord sein zu wollen und Silberdun kurzerhand ins Gefängnis von Crere Sulace werfen lassen.
Dort war er dann vom großen Mauritane angeworben worden und hatte sich dessen streng geheimer, königlicher Mission angeschlossen, ohne recht zu wissen, worauf er sich da einließ. Kurz darauf hatte sich die Gruppe bei Sylvan unversehens inmitten einer Unseelie-Invasion wiedergefunden, nachdem Mab weiter nördlich die Einszorn-Waffe gegen Selafae eingesetzt hatte. Mauritane hatte ihn und die anderen Gefährten in die Schlacht geführt, und Silberdun war zum Kriegshelden der Seelie geworden.
Doch wieder war es nicht aufgrund seiner eigenen Entscheidung dazu gekommen; Mauritane hatte ihn praktisch unter Androhung von Gewalt aus Crere Sulace herausgeholt. Und Silberdun hatte es dem Hauptmann gestattet, ihn durch die halben Faelande mitzuschleifen, so wie er es seinem Onkel gestattet hatte, sich sein Erbe unter den Nagel zu reißen.
Und nach dem Abenteuer mit Mauritane? Da hatte er mit dem höfischen Leben nichts mehr zu tun haben wollen. Die Inhaftierung und die nervenaufreibende Mission hatten ihm den Hang zum süßen Leben gänzlich ausgetrieben. Nicht die geringste Lust hatte er mehr verspürt, auf das Anwesen seiner Familie zurückzukehren und sich das, was ihm zustand, wiederzuholen, nicht das geringste Interesse daran, seinen angeschlagenen Ruf bei Hofe wiederherzustellen.
Während seiner Reise mit Mauritane hatte er Abt Vestar vom
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