Schattenspiel
Ich werde Ihnen antworten.«
Kellys Gesicht nahm einen väterlichen, wohlwollenden Ausdruck
an. »Sie wollen uns also reinen Wein einschenken, Miss Hart? Wie schön! Sie haben Ken und seine Freunde in die Wohnung gelassen. Sie wurden zum Schein von ihnen gefesselt, Sie täuschten vor, selber Opfer zu sein, dabei waren Sie in Wahrheit Täter. Geben Sie das zu?«
Laura atmete tief durch, dann stand sie auf. Sie war sehr klein, dennoch wirkte sie imponierend. Die vielen Rubine, das teure Kleid schienen zu schwer für sie, es war, als erdrückten sie das zarte Gesicht. Aber gerade das verlieh ihr einen Ausdruck von Würde, von dem sie selber wohl nicht einmal etwas ahnte.
»Okay«, sagte sie, und es klang gelassen, »okay, Inspektor, damit Sie heute noch zu einem Erfolgserlebnis kommen. Ja, ich habe alles arrangiert. Ich habe die als Lieferanten getarnten Einbrecher in die Wohnung gelassen und mich zum Schein von ihnen fesseln lassen. Es tut mir weder jetzt leid, noch hatte ich zuvor irgendwelche Skrupel, denn David erstickt im Geld, und es schadet ihm nicht im mindesten, etwas davon abzugeben. Allerdings habe ich es nicht aus freien Stücken getan. Kens Freunde haben mich gezwungen.«
»Kens Freunde?«
»Kumpels, Typen aus seinem Milieu, nennen Sie es, wie Sie wollen«, erklärte Laura ungeduldig. »In der Bronx, wissen Sie, geht es auch unter sogenannten Freunden nicht so fein zu wie in Ihren Kreisen. Jeder von diesen Typen hat ein Ziel, ein einziges: an Geld zu kommen, um sich den nächsten Druck setzen zu können. Verstehen Sie? Sonst ist überhaupt nichts wichtig. Und die lassen jeden über die Klinge springen, wenn sie dafür einen Vorteil haben. Da kann man sich keine vornehmen Gefühle leisten, Treue und Freundschaft und Loyalität, Liebe... wenn Sie einen Druck brauchen, dann scheißen Sie auf alles.«
»Kens Freunde hatten etwas davon gemerkt, daß Sie ihm regelmäßig Geld brachten?«
»Klar hatten die das gemerkt. Irgendeiner war immer da, außerdem erzählte es Ken überall herum. Ich war bekannt wie ein bunter Hund.«
»Und Sie fürchteten nicht, das könnte Sie einmal in Schwierigkeiten bringen?«
»Fürchten? Ich habe gezittert vor Angst! Hunderttausendmal habe ich mir gesagt: Du gehst da nicht mehr hin. Du siehst Ken nie wieder. Du hältst für niemanden den Kopf hin. – Aber dann bin ich doch wieder hingegangen. Ich konnte ihn nicht in seinem Elend allein lassen. Jeden Tag dachte ich, vielleicht ist das heute sowieso das letzte Mal. Es ging ihm so schlecht, wissen Sie.«
»Und außerdem liebten Sie ihn«, sagte Kelly sachlich.
Darauf erwiderte Laura nichts, denn sie empfand es als überflüssig – sie hatte ihn mehr geliebt als irgend etwas sonst auf der Welt, aber das würde keiner hier verstehen. Sie hatte alles an ihm geliebt, seinen täglichen Kampf gegen den Tod, seine Sehnsucht nach ewigem Frieden, seine mageren, zerstochenen Arme, die Zartheit seiner knochigen Finger. Wer würde begreifen, daß sie seinen Verfall gehaßt und verflucht, daß sie seinen Tod gleichzeitig ersehnt und gefürchtet hatte? Es gab wenig Menschen, die Widersprüche verstanden. Sie hatte Ken geliebt, sich von David abhängig gefühlt, sie hatte beide gefürchtet und sich von ihnen zu befreien versucht. Wer würde das je begreifen, diesen inneren Zwiespalt, den sie hatte aushalten müssen? Sie blickte sich um, und zu ihrer Verwunderung entdeckte sie in den Augen der drei anderen Frauen einen Ausdruck, den sie zunächst nicht zu deuten wußte – bis ihr dann aufging, daß es Solidarität war, ein freundschaftliches Verstehen. Sie wissen, dachte sie erstaunt, sie begreifen, wie alles gekommen ist, und was ich empfunden habe.
2
Bis heute kannte sie nicht die Namen von den Leuten, die ständig um Ken herumhingen. An dem Tag, an dem sie zum ersten Mal von ihnen bedrängt wurde, hatte sie Ken gerade hundert
Dollar gebracht. Ken war außer sich vor Glück. »Du bist ein Schatz, Laura. Ich weiß nicht, was ich ohne dich täte.«
Es ging ihm ein wenig besser als in den Tagen vorher, aber Laura hatte gelernt, darauf nichts zu geben. Es konnte sich von Stunde zu Stunde ändern. Er hockte auf seiner Matratze, in seinen uralten Jeans, die steif waren von Dreck, im dunklen Rollkragenpullover, über dem sein Gesicht sehr bleich war. Mit geschickten Fingern drehte er sich eine Zigarette.
»Mein Gott, Laura«, sagte er, »wenn ich hier irgendwann mal rauskäme. Weg von der ganzen Scheiße. Irgendwohin, wo es schön ist,
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