Schattenspiel
darauf scheiße ich, wenn du es genau wissen willst! Aber auf die Sicherheit, in der ich lebe, kann ich nicht verzichten. Ich weiß, daß ich genug zu essen bekomme. Daß ich nicht frieren muß. Daß ich gute Ärzte habe, wenn ich krank werde. Daß ich...daß ich...« Ihre Stimme brach; während ihr die Tränen
über die Wangen liefen, schrie sie: »Daß ich nicht wie meine Mutter enden werde! Als aufgedunsene, versoffene, stinkende Leiche im Schnee! O Ken, ich werde meine Sicherheit nicht aufs Spiel setzen, nie, ich werde sie nicht riskieren!« Sie weinte und weinte, und Ken zog sie an sich. Sie hörte ihn sagen: »Du bist viel unsicherer als früher, Liebling, merkst du das nicht?« Sie weinte heftiger, weil sie wußte, er hatte recht, und weil ihr klar war, er würde sterben, so wie Mum, und auf dieser ganzen gefährlichen, schwankenden, unberechenbaren Welt würde ihr als letztes nur David Bellinos Geld bleiben – das Geld, das sie abhängig machte und käuflich und erpreßbar. Sie würde ihre Seele geben für Davids Geld. Nie war ihr das so bewußt gewesen wie in diesem Moment, in diesem Keller, in Kens Armen.
3
Mary wählte ihre Londoner Nummer, und sie tat es mit einer an ihr ungewohnten Aggressivität. Mit einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, daß es fast Mitternacht war. Sie riskierte es bewußt, Peter zu wecken.
Inspektor Kelly hatte sie endlich gehenlassen. Vermutlich war ihm klargeworden, daß er heute nichts mehr herauskriegen würde. Rote Augen hatte sie vom Zigarettenrauch, eingefallene Wangen vor Erschöpfung. Gina hatte es ausgesprochen: »Wir mußten erst noch den Mord verdauen, da haben Sie uns schon im Galopp durch unser Leben gejagt. Was glauben Sie, wie es in uns aussieht? Wir sehnen uns danach, allein zu sein. Wir sind aufgewühlt und völlig fertig mit den Nerven.«
Kelly gab schließlich nach. Alle standen auf und streckten ihre schmerzenden Glieder. Keiner sprach ein Wort, während sie über den Gang in ihre Zimmer gingen. Nur Natalie hatte sacht Marys Arm berührt. »Können wir uns einen Moment unterhalten, Mary?«
»Natürlich. Komm mit in mein Zimmer.«
Das Ergebnis des Gesprächs war, daß Mary nun ihren Mann Peter anrief. Sie ließ es so lange klingeln, bis schließlich am anderen Ende jemand abnahm. Zuerst hörte sie nur ein Stöhnen und Grunzen. Dann kam Peters leise, gequälte Stimme. »Ja?«
»Peter? Hier ist Mary.«
Eine Sekunde verging, in der Peter wahrscheinlich ungläubig staunend den Telefonapparat betrachtete. Dann brach es aus ihm heraus. »Bist du wahnsinnig geworden? Du kannst doch nicht schon wieder... Verdammt noch mal, ich habe noch geschlafen! Es ist sechs Uhr morgens! Ich...«
Mary blieb ebenso ruhig wie kalt. »Peter, hör mir bitte zu. Bei mir ist es fast Mitternacht, ich bin sehr müde, und ich möchte mir nicht dein Geschrei anhören. Es ist mir gleich, ob du geschlafen hast oder nicht.« Sie machte eine kurze Pause und sah sich nach Natalie um, die hinter ihr stand und ihr beruhigend zunickte. Mary atmete tief durch und fuhr fort: »Peter, es haben sich hier ein paar Komplikationen ergeben. David ist erschossen worden... « Während sie das sagte, dachte sie: er muß glauben, ich sei übergeschnappt! »... und wir werden möglicherweise länger in New York bleiben müssen.«
»Wie bitte?« fragte Peter ungläubig.
»David ist tot. Vorläufig darf keiner von uns New York verlassen.«
»Das gibt’s ja gar nicht!«
»Doch. Weshalb ich anrufe, Peter: Ich werde nicht zu dir zurückkehren. Ich werde zusammen mit meiner Tochter nach Frankreich gehen – zu Natalie. Sie hat mir angeboten, daß ich bei ihr wohnen kann. Ich möchte dann sobald wie möglich die Scheidung. Du kannst deine eigenen Wege gehen.«
Peter konnte nichts anderes denken, als daß er sich in einem bösen Traum befände. »Was redest du da für einen verdammten Unsinn?« brachte er schließlich heraus.
»Halt es ruhig für Unsinn, Peter, das ist mir gleich. Mir wird von nun an ganz gleich sein, was du tust oder denkst. Du kannst den ganzen Tag in deinen Kneipen herumhängen und dich besaufen anstatt auf Arbeitssuche zu gehen. Du...«
»Was bildest...«
»Du kannst auch jede Hure mit nach Hause bringen, die du irgendwo auf der Straße findest. Weder mein Kind noch ich werden das miterleben, daher kann es uns auch ganz kaltlassen.«
»Du bist völlig verrückt geworden.«
»Nein, Peter. Verrückt war ich all die Jahre, in denen ich mich von dir habe demütigen lassen, in
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