Schattenspiel
denen ich mich vor dir gefürchtet und jeden Tag von neuem um ein Lächeln oder ein freundliches Wort von dir gebuhlt habe. Es war die Hölle, mit dir zu leben, und ich habe nicht vor, den Rest meines Lebens in einer Hölle zu verbringen. Du hast mir Zeit und Freude und Selbstvertrauen gestohlen, und das werde ich dir nie verzeihen! Ich will mit dir nie mehr etwas zu tun haben, und versuch ja nicht, mich zurückzugewinnen! Du widerst mich an!« Damit legte sie den Hörer auf und sofort schossen ihr die Tränen in die Augen. »Tut mir leid, Natalie, ich weine bestimmt nicht aus Kummer, sondern nur, weil mir das alles so an die Nerven geht. Weißt du, ich... ich hab’ noch nie so mit jemandem geredet...«
Natalie trat an die Zimmerbar, nahm ein Glas und schenkte einen Schnaps ein. »Hier, trink das erst mal! Mary, es war unbedingt nötig, daß du dich deiner Haut gewehrt hast. So konnte das nicht weitergehen.«
Marys Tränen versiegten so rasch, wie sie gekommen waren; in einem Zug leerte sie das Glas. »Ich fühle mich stark, Natalie. Und frei. Sag mir, warum habe ich so viele Jahre mit diesem Auftritt gewartet?«
»Du hast das Unglaubliche in Peters Verhalten nie richtig kapiert. Wenn man mitten drinsteckt in einer Geschichte, überschaut man sie oft nicht. Insofern war alles, was hier passiert ist, sehr gut für dich. Du mußtest deine Vergangenheit aufrollen, um zu erkennen, daß die Zukunft nur anders aussehen darf.« Natalie zündete sich eine Zigarette an und setzte sich aufs Sofa. »Ich bin überhaupt nicht müde. Komisch, nicht? Vorhin dachte ich, ich schlafe auf der Stelle ein. Aber jetzt...« Sie blies nachdenklich ein paar Rauchkringel in die Luft. »Was meinst du, wer David erschossen hat?«
Mary zuckte mit den Schultern. »Die Einbrecher.«
Natalie schüttelte langsam den Kopf. »Das glaube ich nicht. Nein, ich fürchte, so einfach ist die Sache nicht.«
Inspektor Kelly und Sergeant Bride fuhren durch das nächtliche Manhattan. Bride gähnte jetzt ohne Unterbrechung, und er gab sich nicht die geringste Mühe, seine Müdigkeit zu verbergen. Er hoffte, Kelly werde die Fortsetzung der Verhöre für den nächsten Morgen nicht zu früh ansetzen, obwohl das fast zu erwarten war.
Als könnte er Gedanken lesen, sagte Kelly genau in diesem Moment: »Ich möchte in aller Frühe diesen Ken aufsuchen, den Freund von Miss Hart. Am besten, Sie holen mich um spätestens halb sieben in meiner Wohnung ab. Danach fahren wir dann in die Fifth Avenue zurück. Einverstanden?«
Bride knurrte etwas. Er war nicht im mindesten einverstanden, aber er bezweifelte, daß Kelly sich davon stören ließ. Seine ganze Hoffnung war dieser heroinsüchtige Junge, der vielleicht die Geschichte ein Stück weiterbringen konnte.
»Halten Sie dort an dem Supermarkt«, sagte Kelly, »ich möchte noch etwas Brot und Käse für mein Frühstück kaufen. Soll ich Ihnen etwas mitbringen?«
»Nein«, brummte Bride. Seine Frau war eine perfekte Hausfrau, die darauf achtete, daß sich immer genügend Vorräte im Kühlschrank befanden. Er schaute auf seine Armbanduhr. Kurz vor Mitternacht! Typisch für die verschlampte, ungeordnete Lebensart von Inspektor Kelly, daß es ihm um diese Zeit einfiel, was er fürs Frühstück brauchte. Wahrscheinlich hatte er keinen Krümel Brot mehr, höchstens ein bißchen angesäuerte Milch und verstaubte Kekse. Bride kannte das, es gab solche Leute, und er verstand sie nicht im geringsten.
Mit offenem Mantel und flatterndem Schal rannte Kelly in den Supermarkt, schnappte sich einen Wagen und ließ seine Blicke durch die Regale gleiten. Eine Packung Knäckebrot – für die schlanke Linie –, etwas verpackten Käse, eine Teewurst... was wollte er noch... ach ja, Butter!
Vor dem Regal standen ein Mann und eine Frau und verbauten
jedem anderen Kunden den Zugriff. Sie waren in eine hitzige Debatte verstrickt.
»Du weißt überhaupt nichts«, sagte der Mann. »Du wirfst mit Verdächtigungen um dich, und keine einzige davon kannst du beweisen! Frag doch meine Freunde, sie werden dir alle ganz genau sagen können, wo ich gewesen bin!«
»Oh, davon bin ich überzeugt, daß sie das können, nachdem du sie ganz genau präpariert hast!« entgegnete die Frau höhnisch. »Ihr haltet doch felsenfest zusammen, und ich kann mir gut vorstellen, wie ihr eine perfekte Strategie entwickelt habt, mit der ihr mich hinters Licht führen könnt. Ich hätte euch keine Sekunde mehr zusammenlassen dürfen, nachdem ich den ersten
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