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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Verdacht gefaßt hatte.«
    Kelly starrte sie an. Ihrem Mann fiel das plötzlich auf; etwas zu grob packte er sie am Arm und zog sie mit sich fort. »Wir sind hier nicht allein. Daß du immer unsere Auseinandersetzungen in die Öffentlichkeit zerren mußt!« Zeternd entfernten sie sich. Kelly schaute dem streitbaren Paar sinnend nach. Eine Glocke hatte in seinem Kopf geschlagen, als er die Worte hörte. »Ihr haltet felsenfest zusammen... ich hätte euch keine Sekunde mehr zusammenlassen dürfen...«
    Etwas hatte ihn den ganzen Tag über während der Verhöre irritiert, nun wußte er, was es gewesen war: Die Beziehung zwischen den Verdächtigen, zwischen den vier Gästen und Laura, hatte sich gewandelt. Noch am Morgen, das war Kelly klar, hätte keiner für den anderen seinen Kopf hingehalten. Aber während die Lebensgeschichten aufgerollt wurden, während sie alle im Geiste noch einmal die Jahre durchgingen, die vergangen waren, während der tote David noch einmal lebendig wurde, wuchs das Gemeinschaftsgefühl zwischen ihnen. Kelly begriff, was er am Abend instinktiv empfunden hatte: die geballte Solidarität, die ihm plötzlich entgegenschlug. Auf einmal saßen ihm nicht länger fünf Einzelpersonen gegenüber, von denen jede nur ihre eigenen Interessen im Kopf hatte, sondern eine verschworene Gemeinschaft. Eine völlig veränderte Situation...
    Ohne die Butter trabte Kelly zur Kasse, zahlte und verließ das
Geschäft. Irgendwie hatte er das Gefühl, es war nicht richtig gewesen, Natalie und Gina, Steve, Mary und Laura allein zu lassen, irgendwie sagte ihm eine innere Stimme, er sollte zurückfahren.
    Oder sollte er wenigstens diesen Ken jetzt gleich aufsuchen?
    Durch das Seitenfenster des parkenden Wagens konnte er Brides Profil sehen. Himmel, blickte der Mann mißmutig drein! Er gähnte schon wieder, gleich darauf noch einmal. Wenn er dem jetzt sagte, er wolle zurückfahren in David Bellinos Appartement oder zu dem drogensüchtigen Ken, er würde wahrscheinlich das Auto vor Wut gegen die nächste Hauswand steuern. Kelly seufzte, öffnete die Beifahrertür und ließ sich auf den Sitz fallen. »Die Butter«, sagte er resigniert, »ich habe die Butter vergessen.«
    Bride warf ihm einen Blick zu, als wolle er ihn ermorden. Kelly machte eine ungeduldige Handbewegung. »Okay, okay, ist nicht so wichtig. Fahren Sie weiter. Ich brauche ja nicht unbedingt Butter aufs Brot!«
     
    Er hatte allein sein wollen, nichts als allein sein. Er war müde, und sein Leben lag vor ihm ausgebreitet wie eine einzige große Mixtur aus Chaos und Angst, aus vergeblicher Hoffnung und zerschlagenen Träumen. Alles hätte so schön sein können, sein Leben war ihm vorgekommen wie ein weicher, hübscher, gepflegter Teppich, der die Füße streichelt, die über ihn gehen. Zum erstenmal an diesem Abend, in diesen Minuten fragte sich Steve, ob man das Recht hatte, so ungeniert durchs Leben zu gehen, wie er das bis zu jenem Tag im Gerichtssaal getan hatte. Hatte er zu gut gelebt, war zu sehr verwöhnt und gehätschelt worden? »Du wirst nie ein Rückgrat haben«, hatte Gina oft zu ihm gesagt, die stählerne Gina, die an allen Schwierigkeiten nur immer stärker wurde. Er hatte sie beobachtet, als Kelly über Johns Tod sprach. Ihre Augen hatten verraten, daß diese Wunde unvermindert heftig in ihr brannte. Aber sie zeigte keine Schwäche. Als sie die Nachricht bekam, John sei mit dem Flugzeug abgestürzt, hatte sie am Boden gelegen, aber sie hatte die Zähne zusammengebissen und war aufgestanden.

    Wann habe ich je die Zähne zusammengebissen? fragte sich Steve. Und wann bin ich je aufgestanden?
    Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Sein graues Gefängnisgesicht. Das Schlimme an einem Gefängnisgesicht war nicht einmal diese furchtbare Blässe, dieses Fehlen jeglicher Farbe auf den Wangen. Das Schlimme war, die Poren wurden so groß! Früher hatte er nie festgestellt, daß seine Haut überhaupt Poren hatte, und jetzt war sein Gesicht aufgedunsen, ständig leicht schwitzend, glänzend. Steve bildete sich ein, jeder werde es ihm sofort am Gesicht ansehen, daß er im Gefängnis gewesen war.
    Diese IRA-Bombe! O Gott, diese verdammte IRA-Bombe! Wie oft hatte er an sie gedacht, wie oft sie verflucht. Alles hatte sie ihm kaputtgemacht. Mit der Nase zuerst in den Dreck hatte sie ihn gestoßen, und dann war er nie wieder aufgestanden. Er besaß nicht Ginas Kraft. Auch nicht Natalies Zähigkeit, mit der sie sich verbissen durchs Leben schlug, ihr

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