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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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sie am Anfang, kurz nach Johns Tod, verzweifelt gedacht hatte: Es wird nichts mehr wirklich schön sein! Im Herbst werden sich die Wälder nicht mehr bunt färben, und Lords Fell wird nicht mehr so zauberhaft in der Sonne glänzen. Ich werde keine Sehnsucht mehr nach dem Frühling haben, und ich werde nie mehr glauben, daß ich sterbe vor Glück. Ich werde nie wieder in einem Restaurant einem Mann gegenübersitzen und ihn durch den Schein einer brennenden Kerze beobachten und mir wünschen, die Hand auszustrecken, um mit den Fingern die Linien seines Gesichtes nachzuzeichnen. Sie würde nur halb leben von jetzt an. In diesem Moment erkannte sie, daß der Kummer unvermindert lähmend in ihr lag, daß sie sich jedoch zu ihrem eigenen Erstaunen von einer Kraft erfüllt sah, die sie im Allerinnersten unverwundbar machte. Deshalb – weil sie stark war – hatte sie auch jetzt das Kind Charles an sich hängen. Mein Leben lang werde ich für ihn sorgen müssen, hatte sie oft erbost gedacht – um jetzt zu begreifen, daß sie für ihn sorgen mußte, weil sie für ihn sorgen konnte. Sie war zu zäh, zu lebendig, als daß ihr der liebe Gott lange Zeit gegeben hätte, sich zu
verkriechen und zu jammern. »Steh auf und mach weiter«, hatte ihr das Schicksal befohlen, und wütend und fluchend war sie aufgestanden.
    Sie zog den Gürtel ihres Bademantels fester zusammen. Sie konnte nicht schlafen in dieser Nacht, vielleicht konnten es die anderen auch nicht. Leise trat sie hinaus auf den Gang, wo sie Laura sah, die, gehüllt in ein elegantes Negligé, unschlüssig herumstand.
    »Ach, Gina«, sagte sie, »ich überlege gerade, ob ich mir eine Schlaftablette hole. Komisch, nicht? Vorhin dachte ich, ich muß unbedingt alleine sein, und ich war todmüde, und jetzt bin ich hellwach und habe das Gefühl, ich kann nicht allein sein.«
    »Mir geht es genauso. Und ich wette, den anderen auch. Erst vorhin hörte ich schon einmal jemanden hier vorbeigehen.«
    »Das war Steve. Er ist in Marys Zimmer verschwunden.«
    Gina pfiff leise durch die Zähne. »Sieh mal an! Die beiden fixieren sich ja schon die ganze Zeit ohne Unterlaß. Wer weiß, welch romantische Szenen sich gerade abspielen.«
    »Nicht allzu romantisch, nehme ich an«, erwiderte Laura, »soviel ich mitbekommen habe, ist auch Natalie bei Mary.«
    Gina überlegte eine Sekunde. »Ich werde mal kurz vorbeischauen. Kommen Sie mit, Laura?«
    »Ich weiß nicht...«
    »Kommen Sie schon. Es tut Ihnen jetzt auch nicht gut, allein zu sein. Oder wollen Sie die halbe Nacht vor sich hin grübeln?«

New York, 30. 1 2. 1989
    1
    Sie schwiegen zunächst alle verlegen, als sie im Kreis in Marys Zimmer saßen. Mary hatte vor jeden ein Glas hingestellt und ihre Bar geplündert: Jeder hatte sich etwas eingeschenkt. Außer Marys Nachttischlampe brannte kein Licht.
    Gina lachte laut auf. »Alles wie gehabt. Wir kommen nicht voneinander los, was? Wenn der Inspektor uns so sähe, er würde glauben, wir hätten den armen David alle gemeinsam ermordet. Nichts eint ja bekanntlich so sehr wie zusammen begangenes Unrecht.« Sie lachte wieder und fing dabei einen mißbilligenden Blick von Steve auf. »Jaja. Steve schüttelt schon wieder den Kopf. Du hast immer den Kopf geschüttelt über mich, erinnerst du dich? Du fandest, ich lache zu laut und trage zu kurze Röcke und male mir die Augen zu sehr an. Stimmte?«
    »Wir konnten uns nie besonders gut leiden, Gina, du mich auch nicht.«
    »Stimmt. Wir sind ziemlich verschieden. Wir alle sind es. Im Grunde ist es überhaupt nicht zu verstehen, warum wir Freunde waren.«
    »Waren?« fragte Natalie leise.
    Gina sah sie nachdenklich an. »Heute sind wir eher Komplizen. «
    »Aber es ist alles wie früher«, meinte Mary. »So wie jetzt haben wir in Saint Clare viele Nächte zusammengesessen. Genau so.«
    Natalie dachte: Ja. Wir waren so jung. So furchtbar viel jünger als jetzt.
    »David war bei uns«, fuhr Mary fort.
    Laura zuckte zusammen. »David ist jetzt tot«, sagte sie hart.
    »Wie wir alle wissen«, fügte Gina zynisch hinzu.
    Mary hob fröstelnd die Schultern. »Ich bin froh, daß der Inspektor
fort ist. Er wollte alles so genau wissen, und ich hatte dauernd das Gefühl, man kann ihm nicht entkommen.«
    »Das ist sein Job«, erwiderte Gina. »Ein Inspektor muß im Privatleben der Leute herumstochern, je tiefer desto besser. Aber ich finde es auch angenehm, daß er sich verzogen hat! Mit beiden Händen hob sie ihre Haare aus dem Nacken und ließ sie langsam

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