Schattenspieler (German Edition)
einem Trümmergrundstück
ein paar Straßen weiter gefahren und ihn hinter
einem Schornstein drapiert, der aus dem Schutthaufen ragte
wie ein Totempfahl. Dort würde man ihn finden – wenn
man ihn nicht schon gefunden hatte, mit dem Ausweis von
Hauptsturmführer Albrecht Sommerbier in der Tasche. Wahrscheinlich
würde dieser Name seinen Weg in irgendeine Kartei
finden, die früher oder später mit den Listen der Vermissten
abgeglichen würde. Und damit war Albrecht Sommerbier
ganz offiziell in den Kämpfen um die Reichshauptstadt ums
Leben gekommen. Alle anderen Papiere, die seinen Namen
trugen, waren gerade in den Resten des kleinen Feuers vor
dem Bunkereingang verglommen. Er hatte sich gehäutet wie
eine Schlange.
Die Schießerei hinter der Mauer wurde lauter. Viel konnte
jetzt nicht mehr schiefgehen. Selbst wenn im letzten Moment
noch irgendwelche Verteidiger auftauchen sollten, um die
Kriegswende auf dem Gelände der Möbelfabrik Best herbeizuführen
– im Luftschutzstollen würden sie sich auf keinen
Fall verschanzen, denn dort gab es keinen Hinterausgang.
Solche Verstecke säuberten die Russen mit Flammenwerfern.
Und falls sich doch ein paar lebensmüde Hitlerjungen hier
einnisten sollten, würde er mit denen schon fertig werden.
Er zog den Reißverschluss an der dick gepolsterten Fliegerkombination
hoch und setzte die Lederhaube mit der Schutzbrille
auf, damit es stilechter aussah. Die Maske mit dem
Atemschlauch baumelte unter seinem Kinn, als er den Hof
überquerte, um durch das Tor einen Blick auf die Straße zu
werfen. Vor der Werkshalle lag noch immer das zerstörte Flugzeug,
mit dem der echte Gardiner heruntergekommen war.
Den Lkw hatte er in der Nähe der Stelle geparkt, an der er
Gardiners Leiche abgelegt hatte. Die gefälschten Papiere für
seine zukünftige deutsche Identität hatte er in die Ledermontur
eingenäht, seine Zivilkleidung dagegen lag noch oben im
Tresor. Falls irgendwann jemand hier einer Spur nachgehen
sollte, würde alles so aussehen, als hätte Albrecht Sommerbier
es nicht mehr geschafft, die Sachen abzuholen.
Durch das angelehnte Eisentor trat er auf die Straße. An
einem der Pfosten klebte eine Wandzeitung aus bräunlichem,
filzigem Papier. Der Panzerbär stand oben auf der spartanisch
aufgemachten Seite in Schreibschrift und darunter: Kampfblatt
für die Verteidiger Groß-Berlins . Neben den Schriftzug war
ein Emblem gedruckt, das den Berliner Bären zeigte, breitbeinig
stand er da, mit einem Spaten über der rechten und einer
Panzerfaust über der linken Schulter. Die Schlacht auf dem Höhepunkt ,
behauptete die Schlagzeile und kündigte großmäulig
neue Reserven zur Verteidigung der Hauptstadt an. In dem
Artikel darunter wurde aufgezählt, wo man den feindlichen
Vormarsch überall zum Stillstand gebracht oder zurückgeschlagen
hatte. Unglaublich: Da saßen jetzt also immer noch
Leute irgendwo unter dem ausgebombten Regierungsviertel
neben einer Druckerpresse und schrieben sich dieses Zeug zusammen,
das irgendein Sekretär vom Propagandaministerium
ihnen in die Feder diktierte. Und der würde spätestens morgen
oder übermorgen seine Parteinadel die Toilette hinunterspülen,
um dann den Russen zu erzählen, dass er den ganzen Krieg
über nur Kaffee gekocht und Anrufe weitergeleitet hatte. Ein
fett gedrucktes Kästchen im unteren Teil des Artikels befand,
dass ein Hundsfott sei, wer sich in dieser Stunde ums Kämpfen
drückte. Sommerbier musste über das Wort grinsen. Wer noch
einen Funken Verstand hatte, konnte wahrscheinlich ein paar
Tage lang ganz gut damit leben, ein Hundsfott zu sein, solange
er dafür nicht in irgendeinem dreckigen Loch von einem
Flammenwerfer geröstet wurde.
Das Schießen in der Nachbarschaft setzte plötzlich aus, nur
in der Ferne knatterte und donnerte es weiter. Die Verteidiger
von Groß-Berlin hatten sich offenbar entschlossen, den
Russen ihre Niederlage woanders zu bereiten. Auf der Straße
war kein Mensch zu sehen. Kein Wunder: Die ausgebombten
Fabriken in diesem Teil der Stadt mit ihren halb eingestürzten
und leer geräumten Hallen taugten kaum, um sich darin zu
verbarrikadieren.
Die Frühlingssonne erhellte die Einfahrt der verlassenen
Pianofabrik Bamberger & Sohn auf der anderen Straßenseite.
Noch so ein Betrieb, den man im Krieg nicht mehr gebrauchen
konnte. Doch während die Möbelfabrik Best ein Opfer
der Bomben geworden war, hatte man Bamberger angeblich
den Laden zugemacht, weil er Juden im Keller versteckt hatte.
Vielleicht
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