Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
Vom Netzwerk:
sanft heran wie Wellen an einem windstillen Tag,
wechselten sich ab, überschnitten sich. Es war gefühlvoll und
völlig fehlerfrei. Sie spielte ohne Noten.
    »Klaviersonate Nummer siebzehn«, raunte Sirinow Leo zu.
    Leo blickte ihn an und lächelte komplizenhaft. »Zweiter
Satz. Adagio.«
    Sirinow nickte anerkennend, dann schloss er die Augen,
während die letzten Töne verklangen. Leo spürte ein Gefühl
von Wärme wie seit Jahren nicht mehr, vielleicht wie noch nie
in seinem Leben.
    Einen Augenblick lang war es ganz still, selbst das Grollen
von draußen hatte ausgesetzt. Dann drehte das Mädchen sich
um und Leo erstarrte.
    Sie hatte keine Augen.

Ein selbstzufriedenes Lächeln spielte um Sommerbiers Mund,
als das Feuer heruntergebrannt war und ein Windhauch die
letzten Qualmwölkchen in Fetzen abriss. Der Hof der zerstörten
Möbelfabrik hallte wider von den Einschlägen der Granaten.
Sie waren nur wenige Hundert Meter entfernt.
    Mit einem Stock stocherte er so lange in der hier und da
noch glühenden Asche herum, bis auch die letzten verkohlten
Reste von Stoff und Papier zu kleinen Bröseln zerfallen waren.
Auf Wiedersehen, Herr Sommerbier, dachte er amüsiert. Welcome
to Berlin, Flight Lieutenant Gardiner.
    Man konnte den Plan als gewagt bezeichnen. Aber er hatte
in seinem Leben und gerade in den letzten Jahren immer wieder
die Erfahrung gemacht, dass nichts so riskant war, wie es
schien, solange die Gefahr nicht von unkalkulierbaren Zufällen,
sondern von anderen Menschen ausging, und solange
man nur dreist genug lügen konnte. Er konnte lügen wie ein
Weltmeister und seine imposante Statur half ihm dabei. Die
meisten machten den Fehler, defensiv zu lügen. Das war völlig
falsch: Man musste aggressiv lügen, sodass die anderen von
Anfang an das Gefühl bekamen, sich rechtfertigen zu müssen.
Das funktionierte nirgendwo so hervorragend wie in diesem
Land, wo jeder überzeugt war, dass der im Recht war, der die
meisten Abzeichen an der Uniform trug. Aggressives Lügen
war eine Kunst. Sommerbier hatte einmal einen Schauspieler
getroffen, der behauptet hatte, die Kunst bestehe darin, selbst
zu glauben, was man anderen auftischte. Er sah das anders.
Die Kunst bestand darin, sich den anderen derart überlegen
zu fühlen, dass es keine Rolle mehr spielte, ob man sich selbst
glaubte oder nicht.
    Im Übrigen lag das Risiko gar nicht so sehr in der Glaubwürdigkeit
seiner Geschichte. Die Papiere von Flight Lieutenant
James Gardiner, die er in der Tasche trug, waren echt.
Gardiner hatte ein britisches Jagdflugzeug geflogen, das auf
dem Gelände der Möbelfabrik Best auf den Boden aufgeschlagen
war – just einen Tag, nachdem Sommerbier seine Beute
eingemauert hatte. Offenbar hatte Gardiner es noch geschafft,
das Flugzeug, dessen Motor in Brand geschossen worden war,
halbwegs sauber in den Sinkflug zu bringen. Eigentlich hatte
er sogar alles richtig gemacht: Wie die von kleineren Trümmerteilen
gesäumte Schleifspur auf dem Hof verriet, hatte er
die Maschine knapp über die östliche Begrenzungsmauer des
Firmengeländes gesteuert und dahinter aufsetzen lassen, offenbar
in der Hoffnung, auf der vielleicht einhundertfünfzig
Meter messenden freien Fläche zwischen den beiden Werkshallen
schlitternd zum Stillstand zu kommen. Leider waren
ihm die Stützpfeiler eines Silos in die Quere gekommen, die
er kurz nach der Bruchlandung so heftig gestreift hatte, dass
seine rechte Tragfläche halb abgerissen worden war und das
Wrack seinen Kurs geändert hatte. Beim Aufprall auf die Fundamentmauer
der linken Halle hatte sich Gardiner in seiner
Pilotenkanzel das Genick gebrochen.
    Sommerbier hatte den Toten gefunden, kurz nachdem das
passiert war, denn der zerschossene Motor der Maschine hatte
noch vor sich hin gequalmt. Und er hatte sofort erkannt, was
der Absturz für ein Glücksfall für ihn war. Dieser Gardiner
hatte seine Statur und sah ihm auch sonst ziemlich ähnlich.
Die Augenfarbe stimmte, Gesichtsform, Haarfarbe und Alter
auch ungefähr. Und das Foto in Gardiners Ausweis war älteren
Datums und obendrein nicht besonders scharf. Die Identität
des toten Engländers anzunehmen – das war noch viel
genialer als der alte Plan mit den falschen Papieren.
    Er hatte den toten Gardiner also aus der Pilotenkanzel gezerrt
und ins Verwaltungsgebäude geschleift. Dort hatte er der
Leiche die Fliegermontur ausgezogen und sie in eine seiner
eigenen Uniformen gesteckt, die ihr passte wie angegossen.
Dann hatte er den Toten mit dem Lkw zu

Weitere Kostenlose Bücher