Schattenspieler (German Edition)
seiner, die Hand, die vor seinen Augen
zwei Menschen ermordet hatte. Sommerbiers Stimme an Leos
Ohr. Und das Unglaublichste war: Er hatte diesen Kugler
auch noch sympathisch gefunden. Sommerbier war offenbar
ein Meister der Verstellung. Nicht alle Ungeheuer sahen auch
so aus.
Friedrich sprach laut aus, was auch Leo und Wilhelm insgeheim
dachten: »Ich kann es kaum glauben, dass wir vorgestern
noch Hand in Hand mit diesem skrupellosen Menschen
durch den Bunker geschlichen sind … Marlene hätte ihn vor
die Wand laufen lassen sollen.«
»Eins habe ich dir noch gar nicht erzählt«, sagte Leo. »Er
hat mich nach deinem Vater gefragt.«
»Nach meinem Vater?« Friedrich richtete sich kerzengerade
auf.
»Ja, ganz leise, während Wilhelm und Parks über den Pergamonaltar
fachsimpelten. Er sagte, er hätte jemanden gekannt,
der auch so hieß, und dann wiegelte er sofort ab. Als hätte er
sich versprochen. Irgendwie kam mir das etwas komisch vor,
aber dann habe ich mir nichts dabei gedacht. Er war ja so …
so freundlich.«
»Der nette Herr Sommerbier von nebenan. Immer für eine
kleine Plauderei zu haben, wenn er nicht gerade Leute erschießt.« Friedrich stieß sich vom Fensterbrett ab. »Was hast
du ihm denn gesagt?«
»Eigentlich nichts. Dass dein Vater im Krieg gefallen ist.«
»Glaubst du, er ahnt was?«
»Ich weiß nicht«, sagte Leo. »So selten ist euer Name ja auch
nicht, im Gegensatz zu seinem eigenen. Aber selbst wenn –
es macht keinen Unterschied. Für ihn ist einzig und allein
wichtig, dass er nicht als Albrecht Sommerbier erkannt wird.«
»Ich muss in Berlin anrufen«, sagte Wilhelm und ging zur
Tür. »Die sollen ihn verhaften, sobald er sich blicken lässt.«
»Aber was ist, wenn er mit Hunt oder sonst jemandem
unter einer Decke steckt?«, gab Friedrich zu bedenken. »Am
Ende wird er noch gewarnt und taucht wieder ab. Und so wie
aus Albrecht Sommerbier Stefan Kugler geworden ist, so wird
aus Stefan Kugler im Handumdrehen … was weiß ich …«
Wilhelm, der schon in der Tür stand, grinste. »Walter Winterwein?«
»Zum Beispiel.«
»Keine Angst«, sagte Wilhelm. »Ich lasse mich sofort mit
Parks verbinden und sage ihm, er soll das persönlich regeln.
Und vor allem diskret.«
Damit verschwand Wilhelm auf dem Flur und schloss die
Tür hinter sich. Friedrich und Leo blieben schweigend im
Büro zurück. Die Zeit kroch dahin. Auf dem Tisch lag immer
noch die Akte. Leo schlug die letzte Seite auf und blickte auf
das Papier. Aus Königsberg zu evakuierende Objekte.
»Was bedeuten eigentlich die anderen Kürzel hier?«, fragte
er.
Friedrich trat hinter ihn und blickte auf das Schreiben. »RK
steht wahrscheinlich für Reichskommissariat. HSSPF sind
Höhere SS- und Polizeiführer. Der meint wahrscheinlich die
Akten von deren Dienststellen. Sipo ist die Sicherheitspolizei
und SD steht für Sicherheitsdienst.«
»Und BZ?«
»Keine Ahnung.«
Schnelle Schritte auf dem Gang rissen sie aus ihren Überlegungen.
Einen Augenblick später stand Wilhelm wieder in
der Tür.
»Und?«, fragte Friedrich.
»Pech gehabt«, sagte Wilhelm. »Parks war nicht zu erreichen.
Ich habe unter einem Vorwand nach Hunt gefragt, aber der
war auch nicht da. Stellt euch vor, er ist mit Kugler unterwegs.«
»Mist!«, platzte Friedrich heraus. »Vielleicht sind sie in diesem
Moment gerade dabei, mit der Beute zu verduften!«
»Das ist leider nicht ausgeschlossen«, sagte Wilhelm. »Ich
habe auch im Dolmetscherbüro angerufen. Hunt hat Kugler
nicht zugeteilt bekommen. Er hat ihn angefordert.«
»Noch mal Mist!«, fluchte Friedrich.
»Nehmt die Koffer«, sagte Wilhelm. »Wir müssen sofort
nach Berlin zurück. Ich versuche, Parks von unterwegs zu erwischen.«
Friedrich und Leo sprangen auf. Wilhelm lief so schnell
über den Flur, dass die beiden nur im Laufschritt nachkamen.
Kurz vor dem Treppenabsatz öffnete sich eine Bürotür und
eine hübsche junge Frau trat heraus. Sie trug einen knielangen
Rock zu ihrer Uniformbluse und hatte die schwarzen Haare
zu einem Dutt hochgesteckt.
»William?«
Wilhelm stoppte seinen Lauf. »Yes?«
»There is a call for you. Colonel Berry from Frankfurt. He
says it's important.«
Wilhelm nickte und verschwand in dem Büro. Die junge
Frau lächelte ihnen zu, bevor sie die Tür hinter ihm schloss.
Aus dem Büro kam gedämpft Wilhelms Stimme. Er klang
aufgeregt, aber was er sagte, war nicht zu verstehen.
Nach ein paar Minuten erschien er wieder in der Tür. Leo
lugte an ihm vorbei. Die
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