Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
Vom Netzwerk:
angelegten
Gemüsebeeten. Hinter einem niedrigen Jägerzaun lag die Promenade.
Ein Fahrradfahrer glitt zwischen den Bäumen vorbei.
    »Leider muss ich dich enttäuschen«, sagte Sommerbier.
»Mein Bruder gilt seit den letzten Kriegstagen als verschollen.
Schlimme Zeiten sind das.«
    »Und Sie wissen gar nicht, wo er zuletzt gewesen ist?«, fragte
Friedrich.
    »Nein.« Sommerbier blickte sie nacheinander an, vielleicht
prüfend, vielleicht mitleidig. Nichts in seinem Gesicht verriet,
dass er log. Hatte die Frau sich geirrt?
    »Mein Vater war zuletzt in Kiew«, sagte Friedrich, wie um
ihm auf die Sprünge zu helfen.
    »Das mag ja sein«, sagte Sommerbier. Seine Stimme klang
jetzt ganz leicht ungehalten. »Ich weiß nicht, wo Albrecht zuletzt
gewesen ist. Bei mir hat er sich jedenfalls nicht gemeldet.«
    »Aber …«
    »Ich kann verstehen, wie du dich fühlst. Dieser verdammte
Krieg hat alles durcheinandergebracht. Du hast deinen Vater
verloren. Ich meinen Bruder. Wir müssen sehen, wie wir damit
zurechtkommen.«
    Leo hoffte inständig, dass Karl Sommerbier das Wort nicht
an ihn richten würde. Diese Art von Angst war ihm schrecklich
vertraut. Angst, entdeckt zu werden. Er wollte so schnell
wie möglich wieder nach draußen.
    »Ich wünsche dir von Herzen, dass du deinen Vater findest«,
hörte Leo Sommerbier sagen, während er die Fotos an der
Wand betrachtete. Ein altes Paar, vom Fotografen auf Lehnstühlen
drapiert. Offenbar die Eltern. Zwei kleine Jungen
mit Matrosenanzügen, vielleicht zwei Jahre auseinander. Karl
Sommerbier als jüngerer Mann in Badehose auf einem Steg,
wie er lachend einer Frau in ein Segelboot half.
    »Danke«, sagte Friedrich mit niedergeschlagener Stimme.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass er tot ist.«
    Leos Blick wanderte weiter an der kleinen Galerie entlang.
Neben dem Bild mit dem Segelboot hing ein neueres Foto.
Karl Sommerbier im feinen Anzug im Garten, Arm in Arm
mit einem Uniformierten.
    »Ich verstehe dich«, hörte Leo Sommerbier zu Friedrich
sagen.
    Er bekam eine Gänsehaut, als er die Kragenspiegel des anderen
Mannes sah. Runen links, drei kleine silberne Rauten
rechts.
    »Dann wollen wir mal wieder gehen«, sagte Friedrich neben
ihm. »Trotzdem vielen Dank.«
    Leo blickte in das Gesicht des Uniformierten. Als er ihn erkannte,
war es, als hätte ihm jemand einen Eimer mit Eiswasser
in den Nacken gekippt. Sein Herz setzte einen Schlag aus.
    Er war es, kein Zweifel.
    Albrecht Sommerbier war der Dolmetscher Stefan Kugler.

Nachdem Sirinow durch die ganze Wohnung geschritten war,
ließ er sich im Kaminzimmer auf ein Sofa fallen. Sein Blick
wanderte durch den Raum. General Wassermann hatte gut
gelebt, bevor er sich in einem der letzten noch verteidigten
Bunker erschossen hatte. Und selbst mit seinem Tod hatte
Wassermann, wenn schon nicht unbedingt Stil, so doch wenigstens
einen gewissen Hang zur Inszenierung bewiesen:
Nach dem Aufbrechen der Stahltür hatten die Soldaten ihn
zusammen mit seiner dreißig Jahre jüngeren Geliebten auf
einem Diwan inmitten von leeren Champagnerflaschen gefunden,
zwei hässlich verschmierte Blutflecken an der Betonwand
dahinter. Auf dem Grammophon, das auf einem Schemel
neben den Leichen gestanden hatte, hatte sich lautlos eine
abgelaufene Platte mit Wagners Götterdämmerung gedreht.
    Hatte Wassermann seinem toten Führer durch die Nachahmung
von dessen eigenem Selbstmord so etwas wie die letzte
Ehre erweisen wollen? Wie auch immer – Sirinow konnte
Wagner und seine brünstigen Walküren ohnehin nicht leiden.
    Er hörte, wie Tarassow in der Eingangshalle die Koffer abstellte.
Dann näherten sich die Schritte des Leutnants mit
dem Kindergesicht. Er klopfte behutsam an die Tür und trat
ein, eine Aktentasche unter dem Arm.
    »Wir haben eine Spur von Sommerbier, Genosse Oberst«,
sagte er.
    »Na endlich«, brummte Sirinow.
    »Auf den ersten Blick allerdings keine sehr ergiebige.«
    »Das hatte ich auch nicht mehr erwartet. Lass hören.«
    »Sommerbier war Geschäftsführer in einer Möbelfabrik hier
in Berlin.«
    »Das ist wirklich nicht viel.«
    »Vielleicht aber auch mehr, als Sie denken. Die Fabrik ist
im Herbst 1943 völlig zerbombt worden. Das Gelände liegt
seitdem brach.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Sirinow.
    Tarassow lächelte dünn und sah ihn an. »Amerikanische
Luftaufnahmen.«
    Er holte mehrere große Schwarz-Weiß-Fotos aus seiner
Aktentasche und reichte sie Sirinow. Auf jedem von ihnen
war etwas rot eingekringelt. Ein Fabrikgelände

Weitere Kostenlose Bücher