Schattenspur
sehe hier kein Vévé, keine Zouti, keine Boula. Erkläre mir, wie du den Bastard ohne heilige Zeichen, Ritualgegenstände und Trommel den Petro weihen willst.“
Es hätte sie erschrecken sollen, dass er Lunte gerochen hatte. Aber sie füh l te sich vollkommen ruhig. Auch das war eine – in diesem Moment sehr wil l kommene – Nachwirkung von Ogous Einfluss. Sie befreite ihre Hand aus Claudes Griff und lächelte. „Was glaubst du denn, was ich in den vergang e nen zehn Jahren gemacht habe, Claude? Warum meine Ausbildung so lange gedauert hat? Ich habe eine Macht erlangt, die du dir nicht einmal in deinen kühnsten Träumen vorzustellen vermagst.“ Sie verzog das Gesicht. „Véve, Boula, Zouti – das brauchen Anfänger. Und Schwächlinge. Ich dachte, das wüsstest du.“
Claude blickte sie unsicher an. Schließlich glomm Respekt in seinen Augen. Er trat zurück.
Kia wandte sich wieder dem Boden zu und leuchtete ihn ab. Als sie fand, was sie suchte – den Eisennagel, den Wayne ihr in den Arm gestochen hatte – hatte sie einen Plan gefasst. Sie nahm den Nagel, stellte die Lampe auf den Tisch.
„Zurück“, befahl sie Claude und deutete zur Tür.
Er gehorchte, ohne zu zögern.
Kia drehte Wayne auf den Rücken und kniete sich über ihn, wobei sie Claude den Rücken zuwandte. Von seinem Platz aus konnte er nicht sehen, was sie tat, glaubte aber, dass sie Wayne mit dem Nagel töten würde. Lang und stabil genug dafür war das Ding. So leise wie möglich zog sie Waynes Pistole auf dem Halfter an seinem Gürtel. Sie hatte gelernt, mit Waffen u m zugehen. Louis hatte sie darin unterrichtet, kaum dass sie alt genug war, auf eigenen Füßen zu stehen. Sie hatte so manche Ratte in ihrem Leben erlegt, aber noch nie auf einen Menschen geschossen. Sie hoffte, dass Claude sie nicht zwingen würde, abzudrücken.
Sie stand auf und drehte sich zu ihm um. Verschränkte die Arme so vor der Brust, dass die Mündung der Pistole an ihrer Schulter lag und Claude die Waffe gut sehen konnte. Er starrte sie an.
„Es ist vorbei, Claude. Du kannst nach Haiti zurückkehren und den Bizango anführen, den nördlichen wie den südlichen. Ich erhebe keinen A n spruch darauf. Und ich werde Haiti niemals wieder betreten. Also geh.“
Er blickte sie an, zuerst fassungslos, dann wütend, als er begriff. „Jetzt ve r stehe ich. Louis hat mich die ganze Zeit belogen. Er hat dich gar nicht den Petro geweiht.“
„Nein. Ich habe mich vom Bizango losgesagt, als ich Haiti vor zehn Jahren verlassen habe. Louis war zu feige, dir das zu sagen und damit zuzugeben, dass er keine Macht über mich hat und niemals gehabt hat. Ich wurde bei meiner Geburt Ogou geweiht und bin eine Mambo, eine Mamaloa, in seinen Diensten. Trotzdem wollte Louis mich mit Gewalt zurückholen. Du siehst, wie sein Versuch geendet hat.“ Sie deutete auf Louis’ Leiche. „Ogou hat ihn durch mich dafür bestraft. Also verschwinde, Claude, und lass mich in Ruhe. Für immer. Sonst endest du wie er.“
Er zögerte. Kia sah an dem wechselnden Mienenspiel seines Gesichts, dass ihm das absolut nicht passte. Wahrscheinlich zerstörte das nicht nur seine persönlichen Pläne mit ihr, sondern noch andere, die seine Macht empfin d lich beeinträchtigten. So, wie sie ihn einschätzte – und schon immer eing e schätzt hatte –, hätte er Kias Verlust problemlos verschmerzen können, aber nicht den Verlust der Macht, die seine Heirat mit ihr ihm gebracht hätte.
„Louis’ Leute werden mich nicht als ihren Papaloa anerkennen, wenn ich mich nicht durch meine Heirat mit dir als sein Erbe legitimiere.“
„Das ist dein Problem, Claude. Sag ihnen, dass Louis tot ist. Sag ihnen meinetwegen auch, dass ich tot bin. Dann kann derjenige Louis’ Nachfolge antreten, der sich die Führung seines Bizango erobert. Das wirst du doch gewiss ohne meine Hilfe schaffen.“
Sein Gesicht wurde ausdruckslos, als hätte er sich eine Maske übergestreift. Er sah sie eine Weile an. Kia hielt seinem Blick stand. Sie hätte zu gern g e wusst, was er dachte, aber sie wagte nicht, seinen Geist zu berühren, um es herauszufinden. Allein der Gedanke ekelte sie. Nachdem Louis’ von den Petro verseuchter Geist in sie eingedrungen war, ertrug sie deren Finsternis nicht mehr. Und dass Claudes Seele mindestens ebenso finster war, stand außer Zweifel.
Er neigte den Kopf und deutete eine Verbeugung an. „Diese Lösung scheint mir die beste zu sein. Du willst wirklich nicht mehr nach Haiti z u
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