Schattenspur
Travis bewahrten gleichmütige Gesichter. Wenn Erica Singer wüsste, was es alles gab, das der menschliche Verstand für u n möglich hielt, sie würde staunen. „Dr. Singer, Ihnen ist sicherlich bekannt, dass der Ethnologe Edmund Wade Davis in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf dem Gebiet pflanzlicher und anderer Substanzen geforscht hat, die einen Zustand hervorrufen, der den beschriebenen Symptomen ä h nelt.“
Sie winkte ab. „Ich weiß. Ich habe ein paar von Davis’ Büchern gelesen, auch ‚Die Schlange im Regenbogen’ , in der er von dem Zombiepulver beric h tet, das die Witchdoctors in Haiti zusammenbrauen, um sich Menschen nach Belieben auf diese Weise gefügig zu machen oder ihnen mit Zombiefizierung zu drohen, wenn sie nicht spuren. Mal abgesehen von der wissenschaftlich umstrittenen Zuverlässigkeit einiger seiner Behauptungen und Theorien ist der Bestandteil dieses Pulvers, das den gewünschten Effekt hervorruft, Tetrodotoxin. Welches übrigens auch in Fugu vorkommt. Wir h a ben aber keine Spuren davon im Körper der Patienten gefunden. Und glauben Sie mir, Agents, das war eines der ersten Dinge, die ich persönlich übe r prüft habe.“
Wayne und Travis blickten einander an und spielten wieder das Spielchen Wir sagen jetzt etwas, das wir gar nicht sagen dürften .
„Dr. Singer, was wir jetzt sagen, unterliegt der absoluten Geheimhaltung. Können wir uns auf Ihre Diskretion verlassen?“
„Selbstverständlich, Agents.“ Sie beugte sich gespannt vor.
„Dr. Wades Forschungen mit dem Zombiepulver wurden von anderen Leuten fortgeführt mit dem Ziel, daraus ein besser verträgliches Anästhet i kum zu generieren. Eine auf der Basis dieses Pulvers weiterentwickelte Droge wurde aus dem Versuchslabor gestohlen. Wie es aussieht, ist der Dieb hier und experimentiert an Menschen.“
Sie ließ sich in den Sessel zurückfallen. „Oh mein Gott!“
„Wir sind hier, um ihn aufzuhalten“, fügte Travis hinzu.
„Ich bin Ihnen in jeder nur erdenklichen Weise behilflich“, versicherte sie und sah von einem zum anderen. „Bitte sagen Sie mir, dass Sie ein Gegenmi t tel haben.“
Wayne schüttelte den Kopf. „Bedauerlicherweise nein.“ Er tippte auf die Akte, die er nebenbei gelesen hatte. „Der Tox-Screen ist bei allen unauffä l lig?“
Sie nahm eine andere Akte und reichte sie ihm. „Nicht bei Mrs. Renard. In ihrem Blut wurde eine unbekannte Substanz gefunden. Könnte das Ihre Dr o ge sein?“
Wayne schlug die Akte auf, blätterte bis zu dem Bericht des Toxikologen und hielt ihn so, dass Travis mitlesen konnte. Obwohl zur Ausbildung für die Arbeit beim DOC auch gehörte, solche Analysen zu verstehen und entspr e chende Strukturgitter lesen zu können, sagten die Komponenten der Su b stanz ihm nichts über ihre Wirkung. Travis machte ein Foto des Berichts mit seinem Smartphone und schickte es ans Hauptquartier, damit die dortigen Spezialisten sich die Sache ansehen konnten.
Er nickte. „Das sieht nach unserem Stoff aus. Genaueres können unsere Leute sagen, wenn sie den Bericht gelesen haben. Können wir jetzt die Pat i enten sehen?“
Erica Singer stand auf. „Kommen Sie bitte mit.“
Sie wirkte erleichtert, dass es offenbar doch eine rationale Erklärung für das bisher Unerklärliche gab. Immerhin hatten Wayne und Travis ihr weitgehend die Wahrheit gesagt. Seit Edmund Davis das Zombiepulver damals aus Haiti mitgebracht hatte, waren etliche Analysen und Experimente damit durchg e führt worden, um zu testen, ob es sich als Anästhetikum eignete. Allerdings waren diese Versuche eingestellt worden, soweit Wayne wusste. Die angebl i che Weiterentwicklung war also frei erfunden, lieferte aber genau die logische Begründung für die Vorfälle. Falls nicht noch irgendetwas passierte, das diese Geschichte ad absurdum führte, blieb sie der Teppich, unter den sie die wa h ren Zusammenhänge kehren würden. So weit, so gut. Blieb noch die Aufg a be, dem oder den Verantwortlichen das Handwerk zu legen.
Wie Erica Singer gesagt hatte, saß die erste Patientin aufrecht im Bett, die Arme schlaff an der Seite, und starrte ins Leere. Sie wurde über einen Tropf flüssig ernährt. Ein Blasenkatheter sorgte für reibungslose Ausscheidungen. Eine Schwester saß an ihrem Bett und hielt Wache.
Wayne nickte ihr lächelnd zu und nahm die Hand der Frau. Die Haut fühlte sich wächsern an und kühl. Wayne drückte den Oberkörper der Frau in eine liegende Position. Sie setzte ihm einen
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