Schattenspur
„Nach außen hin sind wir moderne Menschen. Wir mögen deshalb nicht, dass publik wird, wenn wir die Dienste einer Wahrsagerin und Mambo in Anspruch nehmen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Viele schämen sich dafür. Aber wenn man nicht mehr weiter weiß und Gott sich trotz täglicher Gebete und Kirchgänge taub stellt, greift man eben nach jedem Strohhalm. Und was Alma tut, hilft wirklich.“
Wieder exerzierte Agent Scott sein freundliches Lächeln. „Daran zweifeln wir nicht, Officer. Wir sind mit solchen Dingen vertraut.“ Er wandte sich an Kia. „Wir würden uns gern den Tatort ansehen.“ Er hob seine Tasse. „Aber erst nachdem ich meinen Tee ausgetrunken habe.“
Am liebsten wäre ihr gewesen, wenn er und sein Partner sofort verschwu n den wären. Trotzdem fragte Kia höflich, ob sie ihm nachschenken sollte, nachdem er den Tee schluckweise in quälender Langsamkeit geleert hatte, und war froh, als er verneinte.
Fünf Minuten später begutachtete Agent Halifax das Beratungszimmer, während sich Agent Scott von ihr ein Pfund Lavendeltee abfüllen ließ. Pete nahm sich eine Stange Süßholz aus dem Glas auf dem Tresen und kaute d a rauf herum, während er sich an die Kante lehnte und wartete, bis die be i den Agents zum Aufbruch bereit wären. Kia war froh, dass sie mit Agent Scott nicht allein im Raum sein musste. Auch mit dem breiten Tresen als schütze n der Barriere zwischen ihnen fühlte sie sich von ihm verunsichert. Die Art, wie er sie ansah, hatte etwas Abschätzendes, Durchdringendes. Kia wurde nicht zum ersten Mal von einem Mann so angesehen. Gerade als Tä n zerin und Tanzlehrerin erhielt sie eine Menge unerwünschter Avancen. Aber ihr Gefühl sagte, dass Agent Scott nicht zu dieser Sorte Mann gehörte.
Agent Halifax kam zurück, klappte seinen Notizblock auf und skizzierte etwas darauf. Als er fertig war, hielt er ihn Kia hin. „Kennen Sie diesen Mann?“
Das Teepäckchen fiel ihr aus der Hand und wäre zu Boden gefallen, wenn Agent Scott nicht geistesgegenwärtig über den Tresen gegriffen und es aufg e fangen hätte. Sie starrte auf die Skizze. Es war ein sehr gelungenes Porträt von Louis. Die Agents wussten also, dass er hinter allem steckte. Dann wus s ten sie auch – oder vermuteten – dass Kia mehr damit zu tun hatte, als sie zugeben wollte. Ein scharfer Schmerz pochte hinter ihrer Stirn. Louis’ näch s ter Versuch, sich ihrer zu bemächtigen. Und das ausgerechnet jetzt, wo ihre Aufmerksamkeit abgelenkt war. Verdammt! Sie presste die Hand gegen den Kopf. Der Schmerz verschwand.
„Ms. Renard, Sie kennen den Mann.“ Diesmal klang Scotts Stimme kalt und hart, als bestünde jedes Wort aus einer Messerklinge, die in den schü t zenden Kokon der Fassade schnitt, die Kia für die Agents aufgebaut hatte. Er hatte die Stirn gerunzelt und die Lippen aufeinandergepresst, was seine Wa n genknochen stärker hervortreten ließ. Seine Augen funkelten drohend. „Wer ist das?“
Sie atmete tief ein und schüttelte den Kopf. „Ich kenne ihn nicht.“ Die Wahrheit würden die Agents nicht glauben. Und falls sie sie zu Louis führte, würden sie nur seine nächsten Opfer werden. Gegen ihn kamen sie nicht an. „Ich meine, ich kenne nicht seinen Namen. Ich habe ihn ein paar Mal in der Nähe des Ladens herumlungern gesehen. Er war mir unheimlich und hat mir Angst gemacht, weil er immer so finster herübergestarrt hat. Aber meine Großmutter hat gesagt, dass ich mich nicht fürchten muss. Ich habe ihr g e glaubt. Hat er sie angegriffen?“ Sie blickte von einem zum anderen und sah an ihren Gesichtern, dass sie ihr nicht glaubten. Nicht einmal Pete tat das.
Agent Halifax schnaubte, schüttelte den Kopf und blickte seinen Partner an. Der starrte Kia lauernd an wie ein Tiger, der seine Beute ins Visier g e nommen hatte. Als wenn er sie jeden Moment packen und die Wahrheit aus ihr herausschütteln wollte. Wieder bekam sie Kopfschmerzen. Gott, warum verschwanden die FBI-Typen nicht endlich?
Als hätte Agent Scott ihre Gedanken erraten, stellte er das Teepäckchen auf den Tresen und zog seine Brieftasche aus dem Jackett. „Wie viel schulde ich Ihnen für den Tee?“
„Dreiundzwanzig Dollar.“ Kia war so erleichtert, dass sie beinahe ins Sto t tern geraten wäre.
Er legte dreißig Dollar auf den Tisch. „Das stimmt so.“ Er nickte ihr zu. „Vielen Dank für Ihre Hilfe und die Bewirtung. Wenn sich noch Fragen e r geben sollten, werden wir noch mal vorbeikommen. Guten Tag, Ms. Renard.“
Kia
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