Schattenspur
fest, dass über der Tür ein Symbol gemalt war, das er nicht kannte, dessen Stil aber eindeutig der eines Voodoo-Vévés war. Wayne war mit dem Voodookult vertraut genug, um zu wissen, dass solche Vévés – heilige Symbole – normalerweise auf den Boden gezeichnet wurden, und zwar mit Sand, Mehl oder Kaffeepulver, und den Mittelpunkt eines Rituals bildeten. Ein Vévé wurde immer nur für ein einziges Ritual benutzt und anschließend wieder zerstört. Ein Vévé erstens permanent aufzumalen und zweitens über einer Tür, war ungewöhnlich.
„Was bedeutet das Symbol, wenn ich fragen darf?“
„Es ist ein Schutzsymbol und soll verhindern, dass etwas Böses die Tü r schwelle überschreitet.“
Er dachte an den Schutzzauber, den Sam seiner Wohnung verpasst hatte und der nicht nur in der Aussperrung fremder Gedanken bestand. Um die Wohnung zu einem Ort zu machen, an dem er sich wirklich sicher und g e schützt fühlen konnte, hatte sie sie außerdem mit einer Sicherung versehen, die verhinderte, dass irgendetwas oder irgendjemand eindringen konnte, der ihm in irgendeiner Weise übelwollte. Seitdem schlief er dort tief und ung e stört, ohne bei jedem Geräusch aufzuschrecken und zur Waffe zu greifen, die er trotzdem gewohnheitsmäßig unter dem Kopfkissen liegen hatte.
„Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass sein Schutz niemals versagt.“
Sie ließ sich in den Sessel neben ihm fallen, drückte das alte Buch an sich und kämpfte wieder mit den Tränen.
„Hey“, sagte er so sanft wie möglich und beugte sich ein Stück zu ihr hi n über. „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um den Kerl zu stoppen, der Ihrer Großmutter und den anderen das angetan hat.“
Er berührte mit der Rückseite der Hand ihren Arm und streichelte ihn sanft, als sie weder zurückzuckte noch andere Zeichen von Abwehr zeigte. Ihm war bewusst, dass das völlig gegen die Vorschrift war. Schließlich genü g ten schon solche harmlosen Gesten, einem Mann eine Klage wegen sexueller Belästigung einzubringen. Ganz besonders, da Wayne mit Joy vorschriftswi d rig allein war. Gerade bei einem FBI-Agent reichte schon ein im Raum st e hender Verdacht, um ihn seinen Job zu kosten. Was die Integrität ihrer Agents betraf, besaß SAC O’Hara null Toleranz und verstand nicht den g e ringsten Spaß.
Dass die Distanzvorschriften ihre Gründe hatten, die nicht nur in der Ve r meidung eines Vorwurfs wegen Belästigung lagen, stellte Wayne fest, als b e reits diese vorsichtige Berührung seinen Körper buchstäblich von den Haa r wurzeln bis in die Zehenspitzen kribbeln ließ. Damit nicht genug empfand er wie vorhin das Verlangen, Joy in die Arme zu nehmen und nicht nur ihren Körper zu spüren, sondern noch sehr viel weiter zu gehen. Er zog die Hand zurück.
„Danke, Agent Scott.“ Sie blickte ihn an und zwang sich zu einem Lächeln, das gequält wirkte und ihre Augen nicht erreichte. Dunkle Augen wie A b gründe, in denen man sich verlieren konnte. Die Qual und das Leid, das er in diesen Augen sah, schnitten ihm ins Herz. Verdammt, er begann, seine O b jektivität zu verlieren. Natürlich war er nicht der erste Agent, der sich im Zuge der Ermittlungen zu einem Fall zu einer Zeugin oder sogar Verdächt i gen hingezogen fühlte; dagegen war keiner gefeit. Dafür gab es ein Rege l werk, das minutiös vorschrieb, wie in einem solchen Fall zu verfahren war. Erstens: Der betroffene Agent meldete das unverzüglich seinem Partner und vor allem seinem Vorgesetzten. Zweitens: Er wurde augenblicklich von dem Fall abgezogen, und sein Partner übernahm zusammen mit einem Ersatz. Dadurch wurde das Problem sauber gelöst, noch bevor es zu einem Problem werden konnte.
Das Problem in diesem Fall war, dass Wayne der einzige Telepath war, den das DOC gegenwärtig hatte. Auch unter den Freelancern, die im Rahmen der Phase 2 von Operation Spinnennetz arbeiteten, gab es seines Wissens keinen Telepathen. Also sollte er verdammt noch mal aufpassen, dass er nichts tat, was O’Hara veranlasste, ihn von dem Fall abzuziehen.
Joy legte endlich das Buch zur Seite, das sie die ganze Zeit an sich gepresst gehalten hatte. „Sie sagten, es haben sich noch Fragen ergeben, Agent Scott?“
Er beschloss, ihr und gleichzeitig auch sich selbst eine kalte Dusche zu ve r passen. „Wir werden den Mann aufhalten. Der, dessen Bild mein Partner Ihnen heute Nachmittag gezeigt hat. Er ist für den Zustand Ihrer Großmutter verantwortlich und wahrscheinlich auch für den der anderen
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