Schattenstürmer
hängenden Porzellanteller gleich.
»Heim, mein süßes Heim!« Mit diesen Worten auf den Lippen schlüpfte Kli-Kli in den Hof der Gelehrten Eule . »He! Was soll das? Das tut weh!«
Die letzten Sätze galten Aal, der den Narren im Krebsgriff bei den Schultern gepackt hatte.
»Bleib stehen!«, zischte Aal. »Hier stimmt was nicht. Garrett, fällt dir was auf?«
»Es ist zu ruhig«, flüsterte ich, während ich mich in dem schummrigen Hof umsah. »Die Lampe am Eingang brennt nicht! Ich glaube, sie ist zerschlagen worden. Und es ist kein einziger Gehilfe da, obwohl sie hier heute Morgen noch wie die Fliegen herumgeschwirrt sind. Außerdem ist nur im Erdgeschoss Licht an.«
»Gibt’s Schwierigkeiten?« Marmottes Dolch verließ mit einem leisen Klirren die Scheide.
»Ich weiß nicht«, brummte Aal, der Kli-Kli losließ und seinen Dolch zog. »Aber ich kann mich nicht erinnern, dass heute Morgen Armbrustbolzen in den Wänden steckten!«
Erst da bemerkte ich die Bolzen, die im Mondlicht schimmerten und die Mauer der Schenke spickten.
»Verteilt euch!«, befahl Deler. »Garrett, du bist ein Dieb. Schleich dich an und späh durchs Fenster! Wir müssen wissen, wen wir zu Besuch haben.«
Völlig richtig! Ich bin ein Dieb – kein Selbstmörder!
Das klarzustellen war mir jedoch nicht vergönnt, denn gerade bewegte sich im Schatten neben der Tür eine dunkle Silhouette. Bernsteinfarbene Augen blitzten auf, und eine Stimme fragte: »Wo wart ihr so lange?«
Für einige quälende Sekunden rutschte mir das Herz tief in die Hose, und ich fühlte mich wie ein verängstigtes Kaninchen. Als ich die gelben Augen sah, dachte ich nämlich als Erstes an den Sendboten des Herrn. Und dieser Gedanke erschreckte mich dermaßen, dass ich Ells Stimme nicht auf Anhieb erkannte.
»Was ist geschehen, Ell?« Kli-Kli wollte schon auf den Elfen zulaufen, doch da hielt ihn der kalte Befehl Aals zurück: »Bleib stehen, Kli-Kli!«
Der Kobold blieb wie angewurzelt stehen und sah den Garraker an. Aal hatte den Dolch noch immer nicht zurück in die Scheide gesteckt. »Erkennst du denn Ell nicht?«
»Komm ins Licht, Ell! Sei so gut«, bat Aal ganz ruhig.
Viel zu ruhig! Denn er war angespannt wie die Sehne eines Bogens, der einen Pfeil in sein Ziel schicken will.
Wessen verdächtigte er den Elfen?
Dumme Frage. Miralissa hatte uns einmal erzählt, dass einige Diener des Unaussprechlichen ihre Gestalt verändern oder sich unsichtbar machen konnten. Aal dürfte diese Geschichte ebenso wenig vergessen haben wie ich.
»Was ist, Aal?«, fragte der Elf unfreundlich.
Der Garraker traute dem dunklen Elfen nicht – und für einen Elfen war ungerechtfertigtes Misstrauen eine schwerwiegende Beleidigung. Eine, die sogar ein Duell rechtfertigte. Aal wusste genau, worauf er sich einließ. »Komm raus, mehr verlange ich nicht!«, sagte er noch einmal. »Du weißt doch selbst, dass in letzter Zeit merkwürdige Dinge um uns herum geschehen.«
Ell zögerte nicht länger und trat aus dem Schatten ins Mondlicht, um Aal fragend anzusehen. Ell war Ell, er sah genauso aus wie in jenem Augenblick, als wir die Schenke verlassen hatten. Die dunkle Haut, die schwarzen Lippen, die aschgrauen Haare mit dem tief in die gelben Augen fallenden Pony, die kräftigen Fänge, die aufs Hemd gestickte schwarze Rose, das Emblem von Ells Haus, der asymmetrische Elfenbogen in den Händen und der S’kasch auf dem Rücken. Die Lippen von Miralissas K’lissang verzogen sich zu einem amüsierten Grinsen. »Und? Bin ich mir ähnlich?«
Schweigend musterte Aal das Gesicht des Elfen. Deler machte einen gleichsam beiläufigen Schritt nach links, Arnch nach rechts, sodass beide den Elfen in die Zange nahmen.
»Wenn ich wollte, dann würdet ihr keine zehn Schritt machen können«, erinnerte sie der Elf triumphierend.
Das stimmte. Ell verstand zwar im Unterschied zu Miralissa und Egrassa nichts von Schamanismus (die Magie ist Sache der hohen Geschlechter der Elfenhäuser und Schamane), war dafür aber ein vortrefflicher Bogenschütze. Wenn er wollte, würde jeder von uns sieben einen Pfeil im Auge haben, noch ehe Kli-Kli auch nur »Buh!« gesagt hatte.
»Du bist es«, sagte Aal und steckte den Dolch in die Scheide zurück. »Verzeih!«
In der Stimme des Garrakers lag keine Reue.
»Eine begrüßenswerte Vorsicht.« Der Elf wollte über die Beleidigung hinweggehen, zumindest vorerst.
»Was ist passiert, Ell?«, fragte Kli-Kli.
»Geht hinein, Miralissa wird euch alles erzählen.
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