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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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vorne. Es gab einen Schuppen, Beete und Liegestühle. Ein Fußball auf einem hölzernen Stuhl und das über einem asphaltierten Platz angebrachte Basketballnetz ließen annehmen, dass wir hinausdurften – wahrscheinlich zu unseren »dreißig Minuten Sport«. Gab es eine Überwachungsanlage? Ich sah keine Kameras, aber es gab genug Fenster, von denen aus die Schwestern ein Auge auf jeden Menschen draußen im Garten haben konnten. Und der zwei Meter hohe Zaun reichte als Hindernis wohl aus.
    »Suchst du den Ausgang?«
    Ich fuhr herum und sah mich Miss Van Dop gegenüber. Ihre Augen glitzerten. Es sah aus wie Erheiterung, aber ihr Gesichtsausdruck war düster.
    »N-nein. Ich h-hab mich einfach nur umgesehen. Oh, und als ich mich angezogen habe, habe ich gemerkt, dass ich meinen Anhänger nicht dabeihabe. Ich glaube, ich hab ihn im Krankenhaus vergessen, und mir liegt wirklich viel daran, ihn zurückzukriegen. Der ist mir ziemlich wichtig.«
    »Ich werde deinem Vater Bescheid sagen, aber er wird ihn für dich aufheben müssen, solange du hier bist. Wir haben eine Regel, nach der die Mädchen hier keinen Schmuck tragen. Und was das Umsehen betrifft …«
    Mit anderen Worten, schöner Ablenkungsversuch, aber funktioniert hatte er nicht. Sie zog einen Stuhl unter dem Esstisch hervor und zeigte mir mit einer Handbewegung, dass ich mich ebenfalls hinsetzen sollte. Ich tat es.
    »Ich bin mir sicher, du hast die Alarmanlage vorne an der Haustür gesehen«, sagte sie.
    »Ich-ich habe nicht …«
    »Wegzulaufen versucht. Ich weiß.« Das Lächeln erreichte zumindest ihre Lippen. »Die meisten unserer Bewohner gehören nicht zu dem Typ, der von zu Hause wegläuft, außer vielleicht, um jemandem zu denken zu geben. Sie sind intelligent genug, um zu wissen, dass es da draußen übler ist als hier drin. Und hier drin ist es nicht so schlecht. Kein Disneyland, aber auch kein Gefängnis. Die einzigen Fluchtversuche, mit denen wir jemals zu tun hatten, waren Leute, die sich rausschleichen wollten, um sich mit Freunden zu treffen. Nicht gerade dramatisch, aber die Eltern erwarten bessere Sicherheitsvorkehrungen von uns, und wir legen zwar großen Wert darauf, eine wohnliche Umgebung zu bieten, aber ich halte es für wichtig, die Grenzen gleich am Anfang klarzustellen.«
    Sie wartete. Offenbar auf eine Reaktion. Ich nickte.
    »Die Fenster sind mit einer Alarmanlage gesichert und die Außentüren auch. Ihr dürft nur in den hinteren Garten, und der hat kein Gartentor. Der Alarmanlage wegen müsst ihr uns Bescheid sagen, wenn ihr ins Freie wollt, damit wir sie abschalten und, jawohl, auch ein Auge auf euch haben können. Wenn du Fragen dazu hast, was du tun darfst und was nicht, komm zu mir. Ich werde nichts beschönigen, Chloe. Ich glaube, dass Aufrichtigkeit der erste Schritt zur Herstellung von Vertrauen ist, und Vertrauen ist an einem Ort wie diesem unerlässlich.«
    Wieder bohrte ihr Blick sich in meinen, forschte, vergewisserte sich, dass ich auch die andere Hälfte der Aussage verstanden hatte: dass Aufrichtigkeit eine zweiseitige Angelegenheit war und dass von mir erwartet wurde, das meine dazu zu tun.
    Ich nickte.

6
    M rs. Talbot verdonnerte mich dazu, die Karotten fürs Mittagessen zu schälen. Ich wagte nicht, ihr zu sagen, dass ich in meinem ganzen Leben noch keine Karotte geschält hatte. Nachdem ich mir das Messer einmal in den Daumen gehackt hatte, bekam ich den Trick heraus.
    Während ich schälte, begannen meine Gedanken abzuschweifen. In Richtungen, in die ich nicht gehen wollte. Also konzentrierte ich mich auf meine beste Taktik – das Ganze zu einem Film zu machen.
    Auf der Skala traumatischer Erfahrungen waren die letzten paar Tage das beste Filmmaterial gewesen, das ich je erlebt hatte. Aber welches Genre würde es sein? Ein klassischer Horrorfilm? Oder eher ein Psychothriller? Vielleicht eine Kombination verschiedener Elemente, die den Zuschauer mit unerwarteten …
    »Schäldienst, jetzt schon?«, flüsterte eine Stimme. »Was hast du eigentlich getan, um das zu verdienen?«
    Als ich dieses Mal herumfuhr, sah ich keine körperlose Hand, sondern einen vollständigen Körper. Einen Jungen, um genau zu sein, vielleicht ein Jahr älter als ich und fünfzehn Zentimeter größer, schlank, mit hohen Wangenknochen und dunkelblondem Haar, das zu kurzen, wirren Stacheln geschnitten war. Seine mandelförmigen braunen Augen funkelten vor Erheiterung.
    »Du musst Chloe sein.«
    Er streckte die Hand aus. Ich machte einen

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