Schattenstunde
sind die Leute, die’s tatsächlich
können
. Es ist erblich.« Er lächelte. »Wie blonde Haare. Du kannst sie mit roten Strähnen überdecken, aber unten drunter sind sie immer noch blond. Und du kannst die Geister ignorieren, aber sie kommen immer noch zu dir. Die wissen, dass du sie sehen kannst.«
»Das verstehe ich nicht.«
Er warf den Ball hoch und fing ihn auf der flachen Hand auf. Dann murmelte er etwas. Ich wollte gerade sagen, dass ich ihn nicht verstanden hätte, als sich der Ball von seiner Handfläche hob. Und schwebte.
Ich starrte.
»Yeah, ich weiß, es ist genauso nutzlos wie diese Nebelwolke«, sagte er, den Blick auf den in der Luft schwebenden Ball gerichtet, als konzentrierte er sich. »Wenn ich den weiter anheben könnte als die paar Zentimeter, bis über den Basketballkorb zum Beispiel, und jedes Mal einen Slam Dunk hinkriegen würde – das wäre mal nützlich. Aber ich bin nicht Harry Potter, und wirkliche Magie funktioniert nicht so.«
»Das ist … Magie?«, fragte ich.
Der Ball fiel ihm in die Hand. »Du glaubst mir nicht, stimmt’s?«
»Nein, ich …«
Er schnitt mir mit einem Lachen das Wort ab. »Du glaubst, das wäre irgendein Trick oder ein Spezialeffekt. Okay, Filmexpertin, dann schieb deinen Arsch hierher und überprüf’s.«
»Ich …«
»Komm her.« Er zeigte auf die Stelle unmittelbar neben ihm. »Mal sehen, ob du die Fäden findest.«
Ich schob mich näher heran. Er sagte wieder ein paar Worte, lauter diesmal, so dass ich sie hören konnte. Es war kein Englisch.
Als der Ball sich nicht rührte, fluchte er. »Hab ich erwähnt, dass ich nicht Harry Potter bin? Versuchen wir das doch noch mal.«
Er wiederholte die Worte, langsamer, den Blick fest auf den Ball gerichtet. Der Ball hob sich um etwa fünf Zentimeter.
»Und jetzt such nach den Drähten oder Fäden oder was du eben meinst, das es ist, das ihn oben hält.«
Ich zögerte, aber er drängte weiter und zog mich auf, bis ich noch näher kam und einen Finger zwischen den Ball und seine Hand schob. Als ich nichts spürte, schob ich meine Hand in die Lücke und bewegte die Finger hin und her. Simons Hand schloss sich und packte meine, und ich schrie kurz auf, während der Ball über die zementierte Fläche davonsprang.
»Sorry«, sagte er grinsend, während seine Finger meine immer noch umschlossen hielten. »Ich konnte einfach nicht widerstehen.«
»Ja, ich bin schreckhaft, worauf dich dein Bruder wahrscheinlich schon hingewiesen hat. Und wie hast du also …« Ich sah zu dem Ball hin, der gerade ins Gras rollte und liegen blieb. »Wow.«
Sein Grinsen wurde breiter. »Glaubst du mir jetzt?«
Ich starrte den Ball an und suchte nach einer anderen Erklärung. Ich fand keine.
»Kannst du mir beibringen, wie man das macht?«, fragte ich schließlich.
»Nee. Genauso wenig, wie du mir beibringen kannst, Geister zu sehen. Entweder du hast’s oder …«
»Spielst du jetzt schon im Dunkeln Basketball, Simon?«, fragte eine Stimme vom anderen Ende des Gartens her. »Du hättest mir Bescheid sagen sollen. Du weißt, ich bin immer für eine Partie …«
Tori unterbrach sich, als sie mich entdeckte. Ihr Blick glitt zu meiner Hand hin, die immer noch in Simons lag.
» … mit dir zu haben«, vervollständigte sie den begonnenen Satz.
Ich riss meine Hand zurück. Tori starrte immer noch.
»Hey, Tori«, sagte Simon, während er sich den Ball zurückholte. »Was gibt’s?«
»Ich hab dich spielen sehen und dachte, du kannst vielleicht einen Partner brauchen.« Ihr Blick flog wieder in meine Richtung, aber ihr Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. »Na ja, vielleicht auch nicht.«
»Ich sollte reingehen«, sagte ich. »Danke für die Tipps, Simon.«
»Nein, warte.« Er machte einen Schritt in meine Richtung und sah dann zu Tori. »Äh, okay. Gern geschehen. Und es wird wirklich dunkel, was? Müsste jetzt eigentlich gleich was zu essen geben …«
Er stürzte ins Haus.
Ich lag im Bett und konnte wieder einmal nicht schlafen. Dieses Mal waren es nicht die Träume, die mich wach hielten, sondern die Gedanken, die in meinem Kopf hin und her schossen, so schrill und hartnäckig, dass ich gegen Mitternacht ernsthaft erwog, mich in die Küche hinunterzuschleichen – nicht um nach Essbarem zu suchen, sondern um mir die Reisepackung Tylenol zu holen, die ich dort gesehen hatte.
Ich war eine Nekromantin.
Eine Bezeichnung für das alles hätte eigentlich ein Gefühl der Erleichterung mit sich bringen sollen,
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