Schattenstunde
Tick-tick-tick der altmodischen Standuhr unten im Erdgeschoss. Als ich den Kopf drehte, sah ich einen blassen Schimmer, der in der Nähe einer geschlossenen Tür am Ende des Gangs flackerte. Der Tür eines Abstellraums, wie ich immer gedacht hatte. Warum hatten es die Geister in diesem Haus eigentlich immer mit Abstellräumen?
Ich schlich den Gang entlang und öffnete behutsam die Tür. Dunkle Stufen führten nach oben.
Der Dachboden.
Oha, das war genauso übel wie der Keller, vielleicht noch schlimmer. Ich dachte nicht daran, einem Geist da hinauf zu folgen.
Gute Entschuldigung.
Es ist keine.
Du willst gar nicht mit ihnen reden. Nicht wirklich. Du willst die Wahrheit im Grunde gar nicht wissen.
Na toll. Jetzt brauchte ich mich nicht mehr nur mit Dereks Provokationen zu befassen, jetzt begann schon meine eigene innere Stimme, sich so anzuhören wie er.
Ich atmete tief ein und schob mich durch die Öffnung.
20
A uf der Suche nach einem Lichtschalter strich ich mit der Hand an der Wand entlang und hielt dann inne. War das eine gute Idee? Bei meinem Glück würde Tori aufs Klo gehen, das Licht sehen, sich auf den Boden schleichen, um nachzusehen, und mich dabei antreffen, wie ich auf dem Dachboden Selbstgespräche führte.
Ich ließ das Licht aus.
Mit einer Hand am Geländer und der anderen an der gegenüberliegenden Wand tastete ich mich die Treppe in vollkommene Schwärze hinauf.
Meine Hand rutschte vom Ende des Geländers, und ich kippte nach vorn. Ich hatte das obere Ende der Treppe erreicht. Eine Spur Mondlicht fiel durch ein winziges Dachfenster herein, aber selbst nachdem ich eine Pause eingelegt hatte, damit meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen konnten, erkannte ich nur undeutliche Umrisse.
Ich ging weiter, die Hände vorgestreckt, um mir den Weg zu ertasten. Dann prallte ich gegen etwas und wirbelte eine Wolke von Staub auf. Meine Hände flogen hoch, auf meine Nase, um das Niesen zu dämpfen.
»Mädchen …«
Ich erstarrte. Es war der Geist aus dem Keller, der, der immer darauf bestand, ich sollte die verschlossene Tür öffnen. Ich versuchte, ruhig zu atmen. Wer er auch war, er konnte mir nichts tun. Selbst dieser Hausmeister, soviel Mühe er sich auch gegeben hatte, er hatte nichts tun können, außer mir Angst zu machen.
Ich war es, die hier die Macht besaß. Ich war die Nekromantin.
»Wer bist du?«, fragte ich.
»… Kontakt … durchkommen …«
»Ich verstehe dich nicht.«
»… blockiert …«
Meinte er damit, dass etwas seine Möglichkeit blockierte, Kontakt aufzunehmen? Vielleicht die Rückstände der Medikamente in meinem Körper?
»… Keller … versuch …«
»Versuch’s noch mal mit der Tür? Vergiss es. Kein Keller. Kein Dachboden. Wenn du mit mir reden willst, mach es in den bewohnten Räumen. Verstehst du?«
»… kann nicht … blockiert …«
»Ja, irgendwas blockiert dich. Ich glaube, es ist etwas, das ich eingenommen habe, aber morgen müsste es eigentlich bessergehen. Rede in meinem Zimmer mit mir. Wenn ich allein bin. Okay?«
Schweigen. Ich wiederholte es, aber er antwortete nicht mehr. Ich stand dort und schauderte, bevor ich es nach mindestens fünf Minuten Warterei ein letztes Mal versuchte. Als er wieder nicht antwortete, drehte ich mich um und machte mich auf den Weg zur Treppe.
»Chloe?«
Ich fuhr so schnell herum, dass ich irgendeinen Gegenstand auf Kniehöhe rammte. Meine nackten Beine scheuerten über Holz, meine Hände trafen dumpf auf der Oberseite auf und hüllten mich in eine Wolke von aufsteigendem Staub ein. Ich nieste.
»Gesundheit.« Ein Kichern. »Weißt du, warum man das sagt?«
Das Blut hämmerte mir in den Ohren, als ich die Stimme erkannte. Jetzt erkannte ich auch Liz selbst, nur ein paar Schritte von mir entfernt und immer noch in ihr Minnie-Maus-Nachthemd gekleidet.
»Wenn wir niesen, fliegt unsere Seele durch die Nase ins Freie, und wenn niemand ›Gesundheit‹ sagt, kehrt sie nicht zurück, und wir werden krank und sterben.« Wieder ein Kichern. »Hat meine Großmutter immer erzählt. Lustig, was?«
Ich öffnete den Mund, konnte aber einfach nichts sagen.
Sie sah sich um und rümpfte die Nase. »Ist das der Dachboden? Was machen wir eigentlich hier oben?«
»Ich-ich-ich-ich …«
»Hol tief Luft. Bei meinem Bruder hilft das immer.« Noch ein Blick in die Runde. »Wie sind wir hier raufgekommen? Oh, stimmt ja. Die Séance. Wir wollten diese Séance veranstalten.«
»Séance?« Ich zögerte. »Erinnerst du
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