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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Es
musste
einfach.
     
    »Hier«, flüsterte Derek, als er mir ein leeres Glas mit einem Schraubdeckel in die Hand drückte. Er hatte mich nach dem Unterricht zur Seite gezogen, und jetzt standen wir am Fuß der Treppe zu den Jungenzimmern. »Nimm das mit rauf in dein Zimmer und versteck’s.«
    »Es ist ein … Glas.«
    Er grunzte, deutlich gereizt angesichts der Tatsache, dass ich zu begriffsstutzig war, um die entscheidende Bedeutung des Versteckens eines leeren Einweckglases in meinem Zimmer zu erkennen.
    »Es ist für deinen Urin.«
    »Meinen was?«
    Er verdrehte die Augen, und ein leises Brummen drang durch seine Zähne, als er sich zu meinem Ohr hin vorbeugte. »Urin. Pisse. Was auch immer. Für die Tests.«
    Ich hob das Glas auf Augenhöhe. »Ich glaube, die werden mir eher irgendwas Kleineres geben.«
    Dieses Mal knurrte er ganz unverkennbar. Ein schneller Blick in die Runde. Dann griff er nach meinem Arm, hielt abrupt inne und winkte mich die Treppe hinauf. Er selbst nahm zwei Stufen auf einmal, hatte innerhalb von Sekunden den Treppenabsatz erreicht und stierte von dort aus auf mich herunter, als trödelte ich absichtlich.
    »Du hast heute deine Medikamente genommen, oder?«, flüsterte er.
    Ich nickte.
    »Dann nimm dieses Glas und heb es auf.«
    »Heb es …?«
    »Deinen Urin. Wenn du ihnen morgen was davon gibst, wird es aussehen, als ob du die Medizin morgen auch genommen hättest.«
    »Du willst, dass ich meinen Urin ausgebe? In kleinen Dosen?«
    »Hast du eine bessere Idee?«
    »Äh, nein, aber …« Ich hob das Glas und starrte hinein.
    »Oh, Herrgott noch mal. Heb deine Pisse auf. Oder heb sie nicht auf. Mir ist es doch vollkommen egal.«
    Simon streckte den Kopf um die Ecke, die Brauen hochgezogen. »Ich wollte grad fragen, was ihr zwei hier zu besprechen habt, aber das Letzte hab ich gehört, und ich glaube, jetzt will ich’s nicht mehr wissen.«
    Derek scheuchte mich wieder nach unten. Ich steckte das Glas in meinen Rucksack. Ich hätte es wirklich am liebsten nicht verwendet, aber wenn ich mich weiter so anstellte, einen Vorrat von meinem eigenen Urin anzulegen, dann würde ich mich nur als die alberne Tussi erweisen, für die er mich sowieso hielt.

26
    I ch verwendete das Glas, so widerlich es auch war. Meine »Probe« für diesen Tag hatte ich bereits abgeliefert. Als ich also das nächste Mal aufs Klo musste, ging ich in das Bad im ersten Stock, verwendete das Glas und versteckte es anschließend hinter den Putzmitteln in dem Schrank unterm Waschbecken. Das Bad zu putzen war unsere Aufgabe, ich durfte also hoffen, dass die Schwestern dort nie herumwühlten.
    Im Unterricht arbeiteten wir an diesem Tag nicht allzu viel. Wir versuchten es zwar, aber Ms. Wang war keine Hilfe. Es war Freitag, und sie sah das Wochenende näherrücken. So gab sie uns einfach unsere Aufgaben, saß dann da und spielte auf ihrem Laptop Solitaire.
    Rae verbrachte den größten Teil des Vormittags in Therapiesitzungen, erst mit Dr. Gill und dann in einer Sondersitzung mit Dr. Davidoff, während Tori bei Dr. Gill an der Reihe war. Das bedeutete, dass ich, als Ms. Wang uns etwas früher in die Mittagspause gehen ließ, nur Simon und Derek zur Gesellschaft hatte – nicht, dass ich etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte. Es gab immer noch so viel, das ich wissen wollte. Danach zu fragen erwies sich als der schwierigere Teil, vor allem weil dies nichts war, das wir im Medienzimmer besprechen konnten.
    Ins Freie zu gehen wäre die beste Lösung gewesen, aber Miss Van Dop arbeitete gerade im Garten. Also erbot sich Simon, mir mit der restlichen Wäsche zu helfen. Derek sagte, er würde sich später ebenfalls in den Keller schleichen.
    »Hier treibt sich also unser Hausgeist rum«, bemerkte Simon, während er eine Runde im Waschkeller drehte.
    »Ich glaube es, aber …«
    Er hob eine Hand, ging dann in die Hocke und begann, den letzten Korb Wäsche zu sortieren. »Du brauchst mir nicht zu erzählen, dass es hier möglicherweise keinen Geist gibt, und ich werde nicht versuchen, dich dazu zu bringen, dass du ihn kontaktierst. Wenn Derek runterkommt, tut er’s vielleicht. Aber lass dich von ihm nicht in der Gegend rumkommandieren.«
    »Ich kommandiere sie nirgendwohin.« Dereks Stimme drang um die Ecke.
    »Wenn ich jemandem sage, er soll irgendwas tun, und er tut es …«, fügte Derek hinzu, während er um die Ecke kam, »… dann ist das doch nicht mein Problem. Sie braucht nichts weiter tun, als nein zu sagen. Ihre

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