Schattenstunde
man wieder in der eigenen Leiche, im eigenen Grab, wühlt sich an die Oberfläche und hat panische Angst, dass irgendein durchgeknallter Nekromant gerade ein paar Zombiesklaven braucht?«
»Ich hab’s nicht so gemeint …«
»Oh, hörst du das, Michael? Sie hat’s nicht so
gemeint
.« Die Frau tat einen Schritt auf mich zu. »Und wenn ich rein zufällig einen Schwall Höllenfeuer auf dich loslasse, ist das dann in Ordnung, weil ich’s ja eigentlich gar nicht so
gemeint
habe? Du hast da eine Befähigung, kleines Mädchen, und die lernst du besser richtig einsetzen, bevor jemand beschließt, dir die nötigen Lektionen selbst zu verpassen. Beschwör mich noch mal, und
ich
erledige das.«
Sie begann zu verblassen.
»Warte! Du bist …«, ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, wie Simon die weiblichen Formelwirker genannt hatte, »… eine Hexe, stimmt’s? Was ist dir hier passiert?«
»Ich bin ermordet worden, falls das noch nicht offensichtlich genug ist.«
»War es, weil du eine Hexe bist?«
Sie war so schnell wieder da, dass ich zusammenfuhr. »Du meinst, ich habe es mir selbst zuzuschreiben?«
»N-nein. Samuel Lyle, der Mann, dem dieses Haus gehört hat, hat er dich umgebracht? Weil du eine Hexe bist?«
Ihre Lippen verzogen sich zu einem hässlichen Lächeln. »Ich bin mir sicher, die Tatsache, dass ich eine bin, hat es für ihn amüsanter gemacht. Ich hätte es wirklich wissen müssen, dass man einem Magier nicht trauen kann, aber ich war ein Idiot. Ein verzweifelter Idiot. Sam Lyle hat uns ein leichteres Leben versprochen. Das ist es, was wir alle wollen, stimmt’s? Macht ohne ihren Preis. Sam Lyle hat Träume verkauft. Ein Scharlatan. Oder ein Irrer.« Wieder das verzerrte Lächeln. »Wir haben nie ganz rausgekriegt, was von beidem er war, stimmt’s, Michael?«
»Ein Verrückter …«, kam das Flüstern von weiter hinten. »Die Dinge, die er uns angetan hat …«
»Ah, aber wir haben uns schließlich freiwillig drauf eingelassen. Am Anfang jedenfalls. Du musst verstehen, kleines Mädchen, technischer Fortschritt erfordert Experimente, und Experimente erfordern Versuchsobjekte. Und genau das ist es, was Michael und ich waren. Laborratten, die den Visionen eines Irren geopfert wurden.«
»Und was ist mit mir?«
Sie warf mir einen spöttischen Blick zu. »Was soll mit dir sein?«
»Hat das irgendwas damit zu tun, dass ich hier bin? Gerade jetzt? Es gibt hier noch mehr von uns. Paranormale. In einer Wohngruppe.«
»Experimentieren sie mit euch? Schnallen euch ans Bett und spielen mit Elektrodrähten an euch rum, bis ihr euch die Zunge abbeißt?«
»N-nein. N-nichts in dieser Art.«
»Dann solltest du dich glücklich schätzen, kleines Mädchen, und aufhören, uns zu belästigen. Sam Lyle ist tot, und wenn die Parzen halbwegs gerecht sind, schmort er in einer Höllendimension.«
Sie begann wieder zu verblassen.
»Warte! Ich muss wissen …«
»Dann finde es raus!« Sie kam schlagartig zurück. »Wenn du glaubst, dass du wegen eines toten Magiers hier bist, dann bist du genauso verrückt, wie er es war. Ich habe keine Antworten für dich. Ich bin ein Schatten und kein Orakel. Warum ihr Bälger hier seid, an dem Ort, wo ich gestorben bin? Woher soll ich das wissen? Und warum sollte es mich interessieren?«
»Bin ich in Gefahr?«
Sie verzog die Lippen. »Du bist eine Paranormale. Du bist immer in Gefahr.«
»Mission abgeschlossen, nichts erreicht. Nur noch mehr Fragen«, sagte ich, als wir uns im Waschmaschinenraum den Dreck von den Kleidern klopften. »Aber jetzt kannst du endlich wieder ins Bett gehen.«
Derek schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage. Ich werde nicht schlafen.«
»Wegen dem hier? Es tut mir leid. Ich habe nicht vorgehabt …«
»Ich hab auch nicht geschlafen, bevor du mich rausgeklopft hast.« Er zog einen Schuh aus und ließ ein Rinnsal von Sand in den Abfluss rieseln. »Dieses Fieber oder was das ist. Es macht mich nervös. Ruhelos.« Wie auf ein Stichwort hin begann der Muskel in seinem Unterarm wieder zu zucken. »Zum Teil liegt’s daran, dass ich hier nicht genug Bewegung habe. Mit Simon einen Ball in der Gegend rumschmeißen bringt es einfach nicht. Ich brauche mehr Platz. Mehr Aktivität. Ich glaube, das ist der Grund für das hier.« Er rieb nachdrücklich an den zuckenden Muskeln herum.
»Kannst du nicht um Trainingsgeräte bitten? Bei solchen Sachen scheinen die hier doch sehr hilfsbereit zu sein.«
Er warf mir einen schiefen Blick zu. »Du
Weitere Kostenlose Bücher